
Sirenen heulen, lautes Motorengeräusch durchpflügt die Nacht, in der Ferne hört man Einschläge donnern. In stockfinsterer Dunkelheit in einem Keller drückt eine junge Mutter ihre kleinen Kinder an sich, der Mann irgendwo im Felde … und irgendwann kündigt ein langer gleichbleibender Sirenenton Entwarnung an – das Bühnenbild wechselt, der Himmel über Saulgau brennt … und die junge Mutter ruft voller Schrecken ….. „Net schon wieder Ulm“ ….

Szene eines bewegenden Theaterstückes namens „Vom Wort zum Bild“ welches Saulgauer Schüler unter Leitung von Michael Skuppin anlässlich der Buchpräsentation des von Conny Scheck und Maria Gelder herausgegebenen Buches „Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichte hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht. Menschen erinnern sich an eine schwierige Zeit, aber auch an den hoffnungsvollen Neubeginn. Ihre Wege kreuzen sich in Saulgau und Umgebung.“ am Donnerstagabend den 25 Mai in der Stadthalle von Bad Saulgau präsentierten[1]. Der brennende Himmel über Ulm, aber auch Friedrichhafen, – das ist eine Erinnerung, – eine meiner Kindheitserinnerung aus der Karlstraße in Bad Saulgau[2]. Dort wohnten meine Großeltern, und tatsächlich waren wir bis zum Tode meines Opa Anton Neff Ende der 1970 Jahre, relativ häufig in der Karlsstraße in Saulgau, wie es damals noch hieß, denn ein Thermalbad gab es damals noch nicht. Die Erzählung vom Flammenschein des im Bombenhagel untergehenden Ulm habe ich wohl als Kleinkind in der Karlstraße zum ersten mal gehört, und konnte es zu Anfang gar nicht richtig glauben, dass man das von Saulgau aus sehen konnte. Aber es wurde mir so oft erzählt, dass ich es dann doch irgendwann glaubte, – und es eigentlich bis auf den heutigen Tag nicht vergessen habe. Vielleicht hat mich genau deshalb diese Szene aus dem Theaterstück vom „Wort zum Bild“ so bewegt. Wie in einem Fahrstuhl zurückversetzt in die Kindheitstage in der Karlstraße, – höre ich noch die Stimmen meiner Saulgauer Verwandtschaft erzählen „dann sie mer hoch zur Schillerhöhe und henn Ulm brennen sähee“. Und natürlich auch nachdenklich gemacht, weil im Mai 2023, und dies im Grunde genommen seit 24. Februar 2024 in der Ukraine die Luftschutzsirenen heulen, die Städte brennen, Menschen im Bombenhagel sterben[3] …..
Ich hatte mir dann doch einen Tag Urlaub genommen, mich in den Grünstadt in den Zug gesetzt und nach Saulgau gefahren, um an der Buchpräsentation des von Conny Scheck und Maria Gelder herausgegebenen Zeitzeugenbuches über das Ende des zweiten Weltkrieges in Bad Saulgau, teilzunehmen[4]. Hatte ja auch mit einem kleinem „Zeitzeugenbericht“ namens „Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg“ zum Buch beigetragen. Über die Genese dieses kleinen Zeitzeugenkapitels berichtete ich bereits mehrfach in „Paysages“ [5]. Das Buch, eigentlich eine Buchtriologie aus drei Bänden, – ist wie die „Schwäbische Zeitung“ in ihrer Lokalausgabe berichtete – sowohl vom Umfang als auch vom Inhalt ein regelrechtes „Schwergewicht“. Ich habe das Buch schon mehrfach durchblättert, manches oberflächlich überflogen, – aber bisher nur die in der Bibliographie aufgeführten Kapitel aufmerksam und im Detail durchgelesen. Bei dem von mir verfassten Kapitel konnte eine kleine Korrektur aus der Druckfahne für den Druck nicht mehr berücksichtigt werden, so dass ich hier nochmals anmerke, dass der Wilhelm Schramm, also der Gründer der gleichnamigen Möbelspedition, nicht mein Großvater ist, sondern mein Urgroßvater ist. Mein „Opa“ das ist der Anton Neff, der die Blanka, also die Tochter Firmengründers noch vor dem zweiten Weltkrieg heiratete, – und der nach dem Ende des zweiten Weltkrieges die Geschäftsführung der Spedition Wilhelm Schramm übernahm. Aber so etwas kann bei so einen Riesenwerk schon mal passieren. Auch wenn die Buchtriologie keinerlei wissenschaftlichen Anspruch erhebt, – ist es ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument geworden – was durchaus auch der zeitgeschichtlich – landeskundliche Forschung noch Einblicke in das Ende des zweiten Weltkrieges im ländlichen Raum Südwest Deutschlands ermöglicht. Bemerkenswert sind auch die vielen Zeitzeugenberichte, die von Frauen verfasst wurden, oder wie es Irmgard Bertsch-Ehrat im Vorwort zum dritten Band der Triologie schreibt „ Die Geschichten hinter der Geschichte sind vielfach auch Frauengeschichten“. In dieser Hinsicht ist das vielleicht auch schon ein Alleinstellungsmerkmal des Zeitzeugenbuches über Saulgau.
Deshalb sollte das Buch sowohl in der württembergischen Landesbibliothek, als auch in allen wichtigen Universitätsbibliotheken/Forschungsbibliotheken Südwestdeutschlands stehen – und damit der Forschung zur Verfügung stehen. Weiterhin erwähnenswert ist die reichhaltige Bilddokumentation der Bände, – sie ermöglicht es auch weitergehende kulturlandschaftliche Forschungen über den Wandel der Kulturlandschaft im oberschwäbischen Saulgau seit dem zweiten Weltkrieg anzustellen. Wahrlich, – die beiden Herausgeberinnen Conny Scheck und Maria Gelder ist es mit dieser „Zeitzeugentriologie“ über das Kriegsende in Bad Saulgau gelungenen, ein bemerkenswertes Buch herauszugeben. Ein bemerkenswertes Buch welches übrigens auch durchaus ansprechend mit Graphiken, Aquarellen, und Handzeichnungen illustriert ist.
Als ich am Freitag in der Früh, mich auf die Rückfahrt nach Grünstadt machte, und mich um 7:23 im Bahnhof Bad Saulgau in den Regionalexpress nach Stuttgart mit drei Kilo „Buchgepäck“ setzte – hatte ich das Gefühl, – das sich die Bahnreise und der Urlaubstag doch gelohnt hatten. Der Regionalexpress über Sigmaringen durch die Alb über Tübingen nach Stuttgart, – mit dessen Vorvorläufer reiste ich mit meinen Eltern von Tübingen nach Saulgau und zurück zu den Großeltern in die Karlstraße. Wir wohnten noch in Tübingen, meine Eltern hatten noch kein Auto, – und wir fuhren notgedrungen mit Zug zu Oma und Opa. Damals waren die Eilzüge Tübingen – Aulendorf und zurück mit einer Dampflok, meist war es eine P-8, bespannt. Am 26.5. war es dann ein schneller Dieseltriebwagen der Baureihe 612, der mich zurück mit meinen Eindrücken, Kindheitserinnerungen und der Zeitzeugentriologie im Gepäck durch die Alb Richtung Pfalz brachte.

Photo: Christophe Neff © 26.5.2023
Bibliographie
Bertsch, Ehrat (2023): Vorwort – Die Geschichten hinter der Geschichte sind vielfach auch Frauengeschichte. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichte hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band III, Bad Saulgau Mai 2023, S. 6 – 7.
Fischer, Monica (2023): Bad Saulgau – Die Buchtrilogie wiegt drei Kilogramm und ist auch inhaltlich ein Schwergewicht. In Schwäbische Zeitung, 29.05.2023.
Frommer, Helmut (2023): Das Jahr 1945. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band I, Bad Saulgau Mai 2023, S. 240 – 247.
Frommer, Hansjörg (2023): Warum ich zu meiner Geburtsstadt Saulgau ein gespaltenes Verhältnis habe. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band II, Bad Saulgau Mai 2023, S. 274 – 279.
Kleber, Andreas. (2023):“Kleber Post“ – vor, während und nach dem Krieg. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band I, Bad Saulgau Mai 2023, S. 176 – 177.
Kleber, Andreas. (2023): Schicksalhafte Begegnung im Zug im August 1968. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band I, Bad Saulgau Mai 2023, S. 70 – 73.
Neff, C. (2023):Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band III, Bad Saulgau Mai 2023, S. 252 – 259.
Riester, Brigitte (2023): Bewusstes „Ja“ zum Neuanfang. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band I, Bad Saulgau Mai 2023, S. 148 – 151.
Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg)(2023): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht. Menschen erinnern sich an eine schwierige Zeit, aber auch an den hoffnungsvollen Neubeginn. Ihre Wege kreuzen sich in Saulgau und Umgebung. Mit einem Vorwort von Wolfgang Schneiderhahn. Ausgabe in drei Bänden im Schuber. Bad Saulgau Mai 2023.
Schneiderhahn, Wolfgang (2023): Vorwort – Geschichtenn hinter der Geschichte. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichte hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band I, Bad Saulgau Mai 2023, S. 4-5.
Schwierz, Ulrich (2023): Flucht ins Ungewisse. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band III, Bad Saulgau Mai 2023, S. 198 – 207.
Christophe Neff, 31.05.2023
[1] Bilder dieser Theateraufführung befinden sich hier auf der Webpräsenz der Arbeitsgruppe SLG – Spuren Lebendig Gemacht: Theater
[2] Zu den Luftangriffen auf Ulm siehe u.a. auch den Wikipedia.de Artikel „Luftangriffe auf Ulm“.
[3] Siehe auch „Die Truppen des Zaren Putin greifen die Ukraine an! (Übertragung der « Blognotice 24.02.2022: les troupes du Tsar Poutine attaque l’Ukraine » aus dem Französischen)“
[4] Einen vollständigen Überblick über die Zeitzeugen Triologie „Aus dem Grau der Kriegszeit Geschichten hinter der Geschichte“ incl. Bestelladresse etc. findet man hier auf der Webpräsenz der „Arbeitsgruppe SLG – Spuren Lebendig Gemacht“.
[5] Siehe u.a. „Blognotiz 13.03.2022: Erinnerungen an eine Bahnreise nach Saulgau im März 2010“, „Saulgau Oberschwaben Oktober 2022: Photos, Buchlektüren und Kindheitserinnerungen“, „Blognotice 16.11.2022: révision/finissage d’un chapitre de livre sur la fin de seconde guerre mondiale dans une petite ville allemande & débuts sur Mastodon“, „Rückblick auf das Jahr 2022 im Paysagesblog“.