Als ich am Morgen des 24.11.2023 die Radiosendung „Die Ölkrise 1973 – Als Energie knapp und politisch wurde“ in SWR2 hörte, – da dachte ich mir jetzt also gehört ein Teil deines Lebens schon zur Geschichte. Da spricht die Geschichtsprofessorin Melanie Arndt über die kollektive Erinnerung an die autofreien Sonntage, – „Die autofreien Sonntage sind die Ikone der Ölkrise geworden. Also das sind die Bilder, woran sich Menschen erinnern. Warum sie sich, glaube ich, auch mehr an die Ölkrise ’73 als an die ’79 erinnern. Weil es eben dort nicht diese klassischen autofreien Sonntage gegeben hat, wo man eben die Autobahn für sich reklamieren konnte“ – und man wird sich darüber bewusst, dass die eigenen Erinnerungen wohl schon einen Teil des kollektiven Gedächtnis sind. Wobei sich Frau Arndt in einem täuscht, – so sehr präsent ist die Erinnerung an die „autofreien Sonntage“ zumindest bei der jüngeren Generation gar nicht. Von den Teilnehmern meines Seminar Geoökologie, von dem ich ja schon im letzten Blogbeitrag sprach, konnte nur ein einziger mit dem Begriff „autofreier Sonntag“ etwas anfangen. Weiterhin konnten natürlich im ländlichen Raum der alten Bundesrepublik Deutschland nicht überall Autobahnen während der autofreien Sonntage im Jahre 1973 für sich reklamiert werden, weil es diese schlichtweg einfach nicht gab.
Ich erlebte diese Zeit in der Raumschaft Schramberg im mittleren Schwarzwald, also im Lärchenweg oben auf dem Sulgen über der Talstadt Schramberg, was man damals auch Schramberg – Sulgen nannte, und dieser Teil des Südweststaates war damals noch weit weg von jeglichem Autobahnanschluss entfernt. Die nächste Autobahn war die A 5, die man nach stundenlanger Autofahrt durch das Kinzigtal in Offenburg erreichen konnte. Die A 81 Stuttgart –Singen, wurde erst 1978 eröffnet, – und damit wurde Schramberg zumindest „gefühlt“ ans Autobahnnetz angeschlossen. Immerhin gab es (und gibt es immer noch) an der Autobahnausfahrt Rottweil Ausfahrtsschilder mit dem Namen Schramberg.
Spaziergänge auf der Autobahn, das konnte man allenthalben in Fernsehen in den Abendnachrichten sehen. Genauso verhielt es sich mit dem ephemeren Erscheinens von Pferden und Pferdenkutschen im Straßenbild. Wobei ja es ja tatsächlich auf dem Sulgen noch bis in die 1980 Relikte der „Zivilistation“ des Pferdes, deren Abschied ja so treffend von Ulrich Raulff in seinem Buch „Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung“ beschrieben wurde, gab. Ich denke da an die alte Dorfschmiede auf dem Sulgen, über die ich ja in diesem Blog schon geschrieben haben. Und bis Mitte des 1970 Jahre konnte man hier und da noch einen Bauern sehen, der Felder, Wiesen und Wälder vereinzelt mit dem Pferd bestellt. Die Motorisierung der Landwirtschaft war zwar schon sehr weit fortgeschritten, – aber diese hatte das Pferd in diesen Teilen des Schwarzwaldes noch nicht ganz verdrängt. Die erste Strophe des Volkliedes „Im Märzen der Bauer“ – „Im Märzen der Bauer die Rößlein einspannt“ – diesen Szene aus dem bäuerlichen Landleben konnte man zu Beginn meiner Grundschulzeit hier und da auf den Feldern zwischen den „24 – Höfe“, dem „Sulgen“ und dem „Haardt“ durchaus noch begegnen.
Wir fuhren also auf den Straßen Ski und Schlitten, – wobei wir dafür eigentlich keine autofreien Straßen brauchten, denn Schlittenfahren konnte man damals wunderbar auf dem sehr steilen Fußweg der den Lärchenweg mit dem Bolzplatz am Erlenweg verband (und noch verbindet). Das Hörnle war noch nicht verbaut, dort konnte man Fußläufig vom Lärchenweg wunderbar Ski und Schlittenfahren, gleiches galt auch für die nicht weit entfernte „Fixwiese“ hinter dem Feriendorf Eckenhof. Und später als wir dann auf dem Gymnasium waren sind auch einige Schulkameraden übers „Steighäusle“ per Ski in die Schule gefahren. Schnee gab es ja meistens in den Wintermonaten mehr als genug. Der Skilift auf den Fohrenbühl war gerade eröffnet worden, soweit meine Erinnerungen, und dann brachten mich an den Samstagen meine Eltern zu den Skikursen des Skivereins Schrambergs. Skifahren hatte ich tatsächlich schon vorher beim Skiverein Schramberg gelernt, auch am Fohrenbühl, – aber noch ohne Lift, – da musste man sich nach erfolgreicher Abfahrt noch beschwerlich im Treppenschritt mit den Skiern den „Hang“ am Fohrenbühl hinaufarbeiten!
Mit den Eltern sind wir wohl vor den autofreien Sonntagen und gleich nach deren Ende zu den Großeltern ins oberschwäbische Saulgau, Saulgau damals noch ohne Bad, gefahren. Mein Vater stammte ja aus dem oberschwäbische Saulgau, – und bis zum Tod meines Großvaters im Jahre 1977 sind wir da doch relativ oft in den Ferien und vor allem an den Wochenende hingefahren[1]. Die Weihnachtsferien 1973/74 verbrachte ich dann bei den französischen Großeltern in Südfrankreich in Aubord, in einem kleinen ca 15 km südwestlichen von Nîmes gelegenen, damals sehr sehr kleinen Dorf der Vistrenque. Frankreich war ja auch von der Ölkrise betroffen – und dort lernte ich den Spruch kennen, der sich bei mir bis auf den heutigen Tag eingeprägt hatte – „En France, on n’a pas de pétrole, mais on a des idées (in Frankreich haben wir zwar kein Erdöl, aber dafür Ideen“. Man hatte mich „alleine“ zu den französischen Großeltern nach Südfrankreich geschickt, damit ich mich dort in Ruhe und unter der geduldigen Anleitung meines französischen Großvaters auf die „Prüfungsarbeiten/Probearbeiten“ vorbereiten konnte. Heute fast vergessen, aber in den 1970 Jahren gab es in Bayern und Baden-Württemberg ein sehr selektives Aufnahmeverfahren um ins Gymnasium zu kommen. Baden-Württemberg hatte wohl die höchsten Hürden, die „Prüfungsarbeiten“, die man später auch „Probearbeiten“ nannte, das waren sozusagen die Relikate des alten „würrtembergische Landexamens“. Die Vorbereitungszeit auf die „Prüfungsarbeiten“ sind mir persönlich eigentlich viel präsenter als die Sonntagsfahrverbote während der ersten Ölpreiskrise. Die Prüfungsarbeiten hatte ich problemlos bestanden, aber der Schulleiter der Grundschule bestellte meine Eltern ein und erklärte ihnen er hätte beim „Schulamt“ ein Veto eingelegt und so erreicht er, dass ich zusätzlich noch zur Aufnahmeprüfung müsste – weil ich so ein renitenter, unordentlich und fauler Schüler mit erheblichen Rechtschreibproblemen sei – und so musste ich tatsächlich im Frühsommer 1974 noch zur Aufnahmeprüfung im Gymnasium Schramberg antreten, – Prüfung die ich letztlich bestand, sowie die auch folgende übliche „Probezeit“ in der fünften Klassen. Man nannte das damalige Aufnahmeverfahren für die weiterführenden Schulen in Baden-Württemberg auch das „kleine Abitur“ oder auch „Grundschulabitur“. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem alten württembergischen Landexamen – und nicht umsonst wurde später einmal für eine Zeitlang die Erzählung „Unterm Rad“ von Hermann Hesse zu einem meiner Lieblingsbücher. Für das Erfolgreiche Bestehen des „kleinen Abiturs“ erhielt ich von meinen Eltern eine Kleinbildkamera – mein Vater erlernte mir das „manuelle Photographieren“ anhand dieser einfachen Revuekamera[2]. Und ich photographiere auch heute noch, obwohl natürlich die kleine Revuekamera schon längst verschollen ist, – und beherrsche auch immer noch die „manuelle Photographie“. Das kleine Abitur – oder das „Grundschulabitur“ wie man diese Prüfung in Baden-Württemberg auch nannte, sind längst vergessen, man findet auch kaum noch etwas in Internet darüber –immerhin fand ich diesen vielsagenden Artikel in der Zeit „Numerus clausus fürs Gymnasium“ der im April 1978 verfasst wurde, also vier Jahre nach meinem eigen erfolgreich absolvierten „Grundschulabitur“.
Die Ölkrise, insbesondere die autofreien Sonntage erlebte ich eher als Lernzeit. Viele „Vorbereitungsdiktate“ die an Sonntagen aus grauen käuflich erwerblichen Vorbereitungsheften diktiert wurden. Samstags war Skikurs auf dem Fohrenbühl, – und an einem Nachmittag in der Woche nahm uns eine Freundin der Familie mit zu Skifahren an den Skilift an den Fohrenbühl – manchmal ging es auch an den Schloßberg nach St. Georgen. Die Sonntagsfahrverbote tangierten zumindest unsere Familie nur marginal. Ich habe diese Zeit zumindest in Deutschland auch nicht als energiepolitische Umbruchphase erlebt, – kaum war die Ölkrise vorbei – ging es fast weiter wie bisher – während auf der anderen Seite des Rheines also in Frankreich, Frankreich zu dem wir ja intensive familiäre Bindungen hatten war das schon anderes[3]. Im Sinn von « En France, on n’a pas de pétrole, mais on a des idées » hat man nach der Ölkrise auf den massiven Einsatz der Kernenergie gesetzt – und letztlich glaubt heutzutage ein Großteil der politischen Elite in Frankreich man könne die globale Klimakrise und die Reduktion der Co² Emissionen nur durch einen weiteren Ausbau der Kernenerigie in den Griff bekommen. Die Ereignisse von Harrisburg, Tchernobyl und Fukushima scheinen quasi so keinerlei Spuren in der französische Energie und Umweltpolitik hinterlassen zu haben[4].
Wahrscheinlich hat die Historikerin Melanie Arndt Recht wenn sie sagt, dass durch das Sonntagsfahrverbot wohl nur wenig Energie eingespart wurde, diese nur symbolischer Natur waren. Die Geschwindigkeitsbegrenzungen, die man im Zuge der Ölpreiskrise in Deutschland 1973/74 für ein halbes Jahr einführte, nämlich 100km/h auf Autobahnen und 80km/h auf Landstraßen haben hingegen schon dazu beigetragen, Energie einzusparen. Ein Sonntagsfahrverbot wird sich in Deutschland nicht mehr durchführen lassen, – dazu ist unsere Gesellschaft, die Mobilität unserer „automobilen“ Gesellschaft schon viel zu sehr vom „Auto“ abhängig. Angesichts der „Klimakrise“ wäre die Einführung eines Tempolimit anlog dem Französischen und Schweizer Tempolimit in Deutschland bestimmt sinnvoll, aber das lässt sich politisch nicht durchsetzen. Ein Tempolimit wird es in Deutschland wohl nur geben, wenn die Grünen bei Bundestagswahlen die absolute Mehrheit gewinnen, also nie in absehbarer Zeit. Wobei meine Erfahrungen als Pendler sind, dass man angesichts der andauernden ewig langen Lastwagenkolonnen auf unseren Autobahnen, Trucker die sich auch dann immer wieder ewige „Elefantenrennen“ liefern – wohl in der Regel an Wochentagen nur noch nachts und am frühen Morgen vor fünf Uhr, ungebremst als Autofahrer auf der Autobahn aufs Gas drücken kann! Da wäre es doch endlich angebracht zu versuchen, den Güterverkehr endlich massiv auf Schiene und Binnenschifft zu verlagern[5]. Das hilft Umwelt und Klima – und würde auch erheblich dazu beitragen die Staus auf den Autobahnen zu verringern.
Es ist immer schwierig aus historischen Ereignissen Schlüsse für den heutigen Lebensalltag zu ziehen. Aber eines konnte die damalige Regierung Brandt, – nämlich „Krisenkommunikation“! Das vermisst man bei der aktuellen Ampel Bundesregierung . Man vergisst das immer gern, die damalige sozialliberale Koalitionsregierung mit dem Bundeskanzler Willy Brandt „kommunizierte“ so geschickt, dass ein sehr großer Teil der Bevölkerung hinter den Maßnahmen wie „Sonntagsfahrverbot“ und „Geschwindigkeitsbegrenzungen“ während der ersten Ölpreiskrise standen.
Bibliographie:
Neff, C. (2023): Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band III, Bad Saulgau Mai 2023, S. 252 – 259.
Raulff, Ulrich (2015): Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung. I., durchgesehene Auflage in der edition C.H. Beck Paperback, 2018 © Verlag C.H. Beck oHG, München 2015. ISBN 978-3-406-72138-0
Grünstadt, verfasst am 26.11.2023, veröffentlicht am 27.11.2023
[1] Siehe auch: Neff, C. (2023): Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band III, Bad Saulgau Mai 2023, S. 252 – 259, und „Blognotiz 16.11.2014: Novembererinnerungen an Saulgau – Gedanken zum Volkstrauertag 2014“.
[2] Das war wahrscheinlich eine REVUE 100C gewesen. Eine einfache manuel zu bedienende Kamera! Ein Bild dieses Kameratyps findet man hier auf Peter Wellers Fotografieseiten – auf der Seite „Revue-Kameras“.
[3] Siehe auch : Himmelheber, Martin : „Schramberger Auswärts – Wissenschaftler Christophe Neff
Feuer und Flamme für Waldbrände“, Stadtwerke Schramberg 2017.
[4] Siehe auch : « Fukushima pays de neige – Souvenirs du Vendredi 11 Mars 2011 »
[5] Siehe auch: „Freitag 10 November 2023: Klimakleber vor dem KIT“