Blognotiz 12.01.2014: „Blick auf die alte und die neue St. Laurentiuskirche auf dem Sulgen“ – Zeitreise durch die Bergvorstadt Sulgen – anhand einer Neujahrspostkarte von Uwe Rettkowski

Die Graphik „Blick auf die alte und die neue St. Laurentiuskirche auf dem Sulgen“  des Schramberger Künstler und Graphikers Uwe Rettkowski entdeckte ich letzthin in einem kleinen Artikel der NRWZ.  Beim Betrachten der Graphik, auf der die alte und neue St. Laurentiuskirche auf dem Sulgen deutlich  den Vordergrund des Bildes beherrschen, und im Hintergrund auf dem Sulgener Berg  das Haus Marienberg, der  Wasserturm und das Hotel Drei Könige zu erkennen sind, musste ich an den Beginn des Paysagesblogs im Mai 2009, vor nun schon fast fünf Jahren, denken. In den ersten zwei Artikeln[1] [2] von paysages schrieb ich auch vom „Sulgen“,  diesem manchmal etwas vergessenen Stadtteil der großen Kreisstadt Schramberg. Einen Teil meiner ersten Lebensjahre, von ca. 1967 bis 1972, verbrachte ich auf dem Schoren [3], – nahe der Hutneck und dem Feurenmoos.

Vor allem in diesen Jahren – bestand mein Mikrokosmos aus dem Wasserturm auf dem Sulgener Berg, dem Haus Marienberg, der alten St. Laurentiuskirche (und der im Bild nicht sichtbaren Grundschule am Kirchplatz), der neuen St. Laurentiuskirche, der Marienkapelle sowie dem Feuernmoos. Rettkowski’s Graphik trifft das Bild meiner Kindheitserinnerungen recht gut. Die Silberburg am Schönblick läßt sich erahnen. Der Blick auf den “Pfauen“ an der Hardter Straße wird durch den Turm der neuen St. Laurentiuskirche verdeckt.  Die Marienkapelle am Anstieg des Sulgener Berges ist durch die Dächer und Giebel des alten Dorfkernes des Sulgens versteckt. Mit etwas Phantasie kann man sich beim Anblick der Graphik auf den Sulgen der 1970 Jahre zurückdenken, – die Gärtnerei  Flaig gegenüber dem Gasthof Linde, – das Café Munz an der Berggasse, – und wenn man gedanklich die Berggasse hochmaschiert, an der Pension Rapp vorbei, bevor man die Hardter Straße zum Schoren überquert wird, wendet der Blick sich nochmals nach unten zum Bissingschem Forsthaus, damals das Reich des Forstmeisters Erwin Wagner[4] , und dann empfangen einen schon die Fichten und Kiefern des Feurenmooses.  Der Blick wandert dann nach Osten und vor einem erstreckt sich der Schoren. In Verlängerung des Schorens eröffnet sich über dem Hochwald ein gewaltiger Blick auf die Gipfel [5] bzw. Landschaften der Schwäbischen Alb. Soweit man sich dann wieder zurück wendet, – Richtung Sulgener Berg – hat man den Sulgener Wasserturm (Schramberger Wasserturm) im Blick. Er wurde  1960 auf dem Sulgener Berg, der mit 764 m höchsten Erhebung des Sulgens, nach Plänen des Dornstetter Architekten Alwin Eppler gebaut. In meinen Kindertagen konnte man die Aussichtsplattform des Wasserturm gegen eine geringe Eintrittsgebühr von ein paar Pfennig besichtigen, – von dort aus konnte man bei guter Fernsicht die schneebedeckten Gipfel der Alpen erkennen[6].  Das war zumindest in meiner Erinnerung der Sulgen der frühen 1970 Jahre.

Als ich Rettkowski’s Bild sah, musste ich unwillkürlich an diese Zeit auf dem Schoren denken. 1972 zogen wir vom Schoren ins sogenannte Neubaugebiet „Eckenhof[7]“ und spätestens mit der Einschulung in die weiterführende Schule, dem Gymnasium Schramberg, – verlor der Mikrokosmos „Sulgen mit Schoren, Feuermoos und Hutneck“ für mich an Bedeutung.  Vergessen habe ich diese „Welt“ noch nie ganz, vor allem – und daran musste ich auch bei der „Formulierung“ meines letzten Blogbeitrages  denken –  die langen schneereichen Winter, die ich dort oben auf dem Schoren erlebte, wie man diese heute so kaum noch kennt[8].  Die Graphik von Uwe Rettkowski zeigt übrigens den heutigen Sulgen, – das Hotel Drei Könige gab es damals zu Beginn der 70 Jahre noch nicht, – nur hat der Blick auf Rettkowskis Graphik bei mir die Erinnerung an diese Zeit geweckt. Andere Betrachter der Graphik von Rettkwoski, werden andere „Zeitreisen“ zwischen dem Sulgener Berg und den beiden St. Laurentius Kirchen, machen. Auch ich kann andere Zeitreisen beim Betrachten des Bildes erzählen, – wahrscheinlich bin ich fast zehn Jahre lang an beiden Kirchen St.Laurentius Kirchen  (Hörnlestraße/Kirchplatz/Mariazeller Straße) vorbei mit dem Rad zum Reitstall auf den Beschenhof gefahren.  Damals  befand sich auf dem Beschenhof die Reitanlage des Reit & Fahrverein Schramberg, – auf der ich als Jugendlicher viele ungezählte Stunden verbrachte. Der Beschenhof und der Reit & Fahrverein Schramberg, das war wahrlich auch ein eigener Mikrokosmos.

Und wenn ich schon vom Beschenhof schreibe, kommt mir die Erinnerung an die alte Schmiede auf dem Sulgen. Es gab an der Ecke Saulgauerstraße/Brunnengasse, gegenüber dem Hasen, also im alten württembergischen „Sulgau“, eine Schmiede – eine echte alte Dorfschmiede,  die eine gewisse Ähnlichkeit mit der  Simon’schen Schmiede in Schabbach  aus dem Heimat-Filmkosmos von  Edgar Reitz – ich denke da besonders an   Heimat – Eine deutsche Chronik  und Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht – hatte. Nur dass die Schmiede an der Kreuzung „Brunnengasse Sulgauerstraße“ keine filmische Fiktion sondern ganz einfach ein lebendiges Relikt aus der dörflichen Realität des alten Sulgau war.  An Herbst – und Winterabenden konnte man dort noch bei offenem Tor das Schmiedefeuer brennen sehen. Als ich das Reiten auf dem Beschenhof begann, da wurden dort in dieser Dorfschmiede manchmal die Pferde noch beschlagen. Das Schmiedefeuer erlosch im Jahre 1984, das Gebäude, die sogenannte alte Schmiede, wurde im Mai 2010 abgerissen[9].  In der Sulgauer Straße befand sich auch die Schreib – und Buchwarenhandlung Klaus Simon. In dieser Buchhandlung erwarb ich meine ersten Bücher bzw. wurden mir meine ersten Bücher gekauft[10]. Wie gesagt, beim Betrachten der Graphik „Blick auf die alte und die neue St. Laurentiuskirche auf dem Sulgen“ kann jeder Betrachter seine eigene Zeitreise durch das alte und neue Sulgen starten. Wahrscheinlich könnte ich auch weit mehr über den Sulgen als ich hier geschrieben habe, niederschreiben. Jedes Mal wenn ich auf die Zeichnung von Rettkowski schaue, fällt mir eine neue Geschichte aus der Zeit von 1967 bis 2006[11] ein.

Die Stadt Schramberg sollte sich nicht nur die Motive der „Neujahrseinladungen“ von Uwe Rettkowski gestalten lassen, sondern darüber nachdenken, über das Stadtarchiv/Stadtmuseum ein kommentiertes Werkverzeichnis des künstlerischen  Werkes von Uwe Rettkowski zu publizieren. Er hat nicht nur Stadtansichten gestaltet, sondern auch andere in der großen Öffentlichkeit nicht so bekannte Werke, die aber durchaus großen künstlerischen Wert haben.

Ich denke da unter anderem an das Bildnis von Salvador Allende[12], welches Rettkowski im Jahre 1981 erstellte. Als sich der blutige Militätputsch gegen Salvador Allende am 11.9.2013 zum vierzigsten Mal jährte musste ich an dieses beeindruckende Bild denken. Die Graphik ist Teil einer ganzen Bildserie, die ich als „le cri de liberté des affamés et opprimes“ (der Schrei nach Freiheit der Ausgehungerten und Unterdrückten) bezeichnen würde. Das Bild bzw. die ganze Bildserie von Uwe Rettkowski hing jahrelang im Wohnzimmer meines Elternhauses im Lärchenweg.

Ein kommentiertes Werkverzeichnis würde es erlauben, die gesamte künstlerische Breite des Werkes von Uwe Rettkowski zu erfassen und darzustellen, und dieses sowohl kunstgeschichtlich, als auch wirkungsgeschichtlich zu würdigen.

Graphik/Photo: Blick auf die alte und die neue St. Laurentiuskirche auf dem Sulgen.  ©Uwe Rettkowski. (Abdruckgenehmigung für das Paysagesblog  per email am 10.1.2014 bei  Uwe Rettkowski eingeholt)

Christophe Neff, le 12.1.2014


[1] Im ersten Blogbeitrag des Paysagesblog « I. Un blog sur les paysages : un petit début – ou quelle langue choisir ? » wird der Sulgener Dialekt, das Sulgenerisch, die Grundschule und der kastanienumsäumte Kirchplatz, sowie die „Wälder“ des Feurenmoos beschrieben.  Ferner auch ein Verweis auf die Wald und Landschaftsbeschreibungen in Vincenz Erath Roman „Größer als des Menschen Herz“ der größtenteils im benachbarten Waldmössingen (Tunersdorf) spielt.

[2] Im zweiten Blogbeitrag des Paysagesblog „II. Un blog sur les paysages: ein kleiner Prolog auf Deutsch“ geht es u.a. auch über den Sulgen, die Darstellung der Bergvorstadt Sulgen in Wikipedia, sowie die Bedeutung des „Sulgens“ im Werk der Kriminalschriftstellerin Uta Maria Heim, – die ja auch auf dem Sulgen aufgewachsen ist.

[3] Der Schoren ist eine Flurbezeichnung auf dem Sulgen, die die große Feldflur zwischen Sulgener Berg, Hutneck, und Hintersulgen bezeichnet. Darin befanden sich u.a. drei Einzelhöfe, zu denen sich im Laufe der Jahre vier weitere Wohnhäuser gesellten. In einem dieser Wohnhäuser (Schoren Hausnummer 7) wohnten wir von 1967 bis 1972 zur Miete. Die Feldflur des Schoren wird im Süden durch das Waldgebiet Feurenmoos abgegrenzt. Im Norden durch den Altbaukern des vorderösterreichischen Sulgen. In den 1960 Jahre wurde im nördlichen Bereich des Schorens ein Neubaugebiet (Panoramastraße, Schorenweg) errichtet (genannt Schoren). In diesem Neubaugebiet wurde auch das erste Hochhaus in Schramberg gebaut. Daran schließt das Neubaugebiet Schoren-Süd  an, welches seit ein paar Jahren erschlossen wird.

[4] Über Erwin Wagner, siehe u.a hier in der NRWZ und hier und hier im Schwarzwälder Boten.

[5] Bei gutem Wetter kann man vom Schoren den u.a den Hohenzollern, den Plettenberg und das Klippeneck sehen.

[6] Die Aussichtsplattform des Wasserturms läßt sich nicht mehr besichtigen. Dafür gibt es eine Webcam, – die in den Nordschwarzwald ausgerichtet ist.

[7] In der d’Kräz 30 und 31 (2010 + 2011) befindet sich eine von Hermann Körner verfasste Dokumentation (Vierzig Jahre Wohngebiet Eckenhof; Ein Rückblick auf die Jahre des Baubooms in Schramberg ) über die Geschichte des Neubaugebietes Eckenhof auf dem Sulgen.

[8] Mein aus Saulgau im schwäbischen Oberland stammender Vater, war so von den schneereichen Winterlandschaften der Raumschaft Schramberg so beindruckt, dass er eine kleine Diadokumentation darüber anlegte, dort findet man zahlreiche „Schneelandschaften“ vom Feurenmoos, vom Fohrenbühl und vom Sulzbach (wird u.a. auch hier beschrieben L‘ Allemagne fatiguée de son hiver (Hiver 2009/2010)).

[9] Über den Abriß der alten Schmiede in der Brunnengasse auf dem Sulgen hier mehr aus dem Schwarzwälder Boten „Schramberg – „Alte Schmiede“ weicht dem Bagger

[10] Mehr dazu u.a. in diesem Blogbeitag „Nachtrag zum Mannemer Dreck – Mannheims Bücherwelten (21.7.2009)“ nachzulesen.

[11] 2006 verkaufte meine Mutter, das elterliche Wohnhaus im Lärchenweg.

[12] Im Blogbeitrag « Quelques mots sur le reportage « la route australe » d’Emilio Pacull dans l’émission Thalassa du vendredi 26.11.2010 » hatte ich schon ein paar Sätze über das Allendeporträt  von Uwe Rettkowski geschrieben.

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