Ein persönlicher Rückblick auf sechzig Jahre Élysée-Vertrag

l’aube franco-allemand sur le Rhin à Lauterbourg/ deutsch-französische Morgendämmerung auf dem Rhein bei Lauterbourg,  © Christophe Neff 23.08.2022

Am 22 Januar 2023 wurde der der deutsch-französische Freundschaftsvertrag, der sogenannte Élysée-Vertrag, sechzig Jahre alt. Zum fünfzigsten Jahrestag des Élysée-Vertrags hatte ich einen längeren auf Französisch verfassten Beitrag namens „Blognotice 22.01.2013: pensées personnelles franco-allemandes sur le cinquantième anniversaire du Traité de l’Elysée“ auf paysages gepostet. Seitdem sind nun über 10 Jahre vergangen, – und der damalige, sehr persönliche Beitrag hat nichts von seiner Aktualität verloren. In diesen zehn Jahren haben sich, nach meinem Empfinden,   Frankreich und Deutschland eher voneinander entfernt als angenähert. In einem Rückblick auf die Zeit als Paysages noch ein Le Monde.fr Abonnentenblog war schrieb ich im April 2019 folgendes: „Nach zehn Jahren paysages auf Le Blogs le Monde – und paysages wollte zumindest in den Anfängen auch ein deutsch französischer Blog sein – muss ich feststellen, dass der Graben der Frankreich und Deutschland trennt, trotz aller Sonntagsreden über die wichtige, gar lebensnotwendige Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen, noch nie so groß war wie heute.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen – außer vielleicht, dass ich das Gefühl habe, dass der „Graben“ der Frankreich und Deutschland trennt, immer größer wird. Es ist natürlich nicht nur ein gefühlter Graben, – die wirtschaftliche „Schere“ zwischen Deutschland und Frankreich wird immer breiter. Das deutsche „BIP“ ist dem französischen „BIP“ regelrecht enteilt.  Aber natürlich hat das Ganze auch seinen Preis. Der deutsche „Wirtschaftserfolg beruht(e) u.a. auf sehr preiswerter Energie aus Russland, – einem „hemmungslosen“ Handel mit China, – und auch der schon fast sträflichen Vernachlässigung der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge in Deutschland. Frankreich hat hingegen eine funktionierende schlagkräftige Armee, einen sehr gut professionellen Zivilschutz, der sich jedes Jahr bei Waldbränden und Hochwasserereignissen bewährt. Nur beim Eisenbahnwesen, wenn man vom TGV-Netz absieht, sieht es in Frankreich erheblich schlechter aus als in Deutschland. Es gibt ganze Landstriche ohne funktionierende Eisenbahnen in Frankreich. Darüber verfasste ich vor einigen Jahren den Artikel „Streckenbeobachtungen in der „France périphérique“ – ein geographischer Kommentar zur ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2017 in Frankreich[1]“ – und seitdem hat sich am Zustand des französischen Eisenbahnnetzes im ländlichen Raum nichts wesentliches verändert. Wir haben in Deutschland ein hyperkompetitives Wissenschaftssystem, ein sehr auf „Effizienz“ getrimmtes System, das vor allem zu Lasten von Doktoranden und Post-Docs geht, von denen nur die wenigsten die Chance haben jemals eine feste Stelle in der deutschen Forschungs – und Universitätslandschaft zu bekommen.  In der Öffentlichkeit ist wohl relativ bekannt,  dass es deutsche Wissenschaftler vor allem in die USA, Kanada und die Schweiz zieht,  wobei es relativ wenige belastbare Zahlen dazu gibt. Weit weniger ist in Deutschland bekannt, dass es zumindest in den Natur- und Umweltwissenschaften auch immer mehr Wissenschaftler nach Frankreich zieht. Der Grund ist einfach – auch wenn französische Wissenschaftler im Vergleich zu Deutschland (und anderen Ländern) relativ wenig verdienen, so gibt es doch noch (erheblich) mehr Dauerstellen im französischen Wissenschaftsbetrieb als in Deutschland. Es würde sich bestimmt lohnen, die „Auswanderung & Abwanderung“ aus der deutschen Wissenschaftslandschaft tiefergehend zu analysieren.

So wie sich in den letzten Jahren ein deutliches Wohlstandgefälle zwischen Deutschland und Frankreich entwickelt hat,  so haben sich denn wohl die beiden Ländern kulturell mehr und mehr auseinanderentwickelt. Das Wohlstandgefälle zwischen beiden Ländern hat bestimmt etwas damit zu tun, erklärt aber letztlich auch nicht alles. Die Lebenswirklichkeiten in beiden Ländern haben sich wohl auch eher auseinander als aufeinander zu entwickelt. Dennoch möchte ich betonen, dass Deutschland zwar wirtschaftlich Frankreich überholt hat, aber ich glaube, dass Frankreich sowohl gegenüber „externen Schocks“, als auch gegenüber „Natur- und Umweltkatastrophen“ erheblich resilienter ist als Deutschland.

Persönlich hatte ich mir erhofft, dass der Krieg in der Ukraine vielleicht dazu führen würde, dass Deutschland und Frankreich intensiver miteinander kooperieren würden, aber letztlich ist da bisher nicht viel geschehen. Angesichts dieser existentiellen Krise mitten in Europa, wäre es mehr als wünschenswert, wenn Paris und Berlin wieder mehr zusammenfinden würden, – so wie einst Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing oder Helmut Kohl und François Mitterrand.

Ja, und was das Sprachenlernen betrifft, – in Deutschland wäre schon sehr viel gewonnen, wenn man aufhören würde, die romanischen Sprachen – meist Französisch versus Spanisch – gegeneinander ausspielen. Ich rede schon gar nicht mehr vom Latein. Eine gut organisierte Schule, mit motivierten Lehrern, kann selbstverständlich ihren Schülern Englisch, Französisch, Spanisch und ggf. noch Latein, oder gar Portugiesisch oder Russisch beibringen. Das lässt sich leisten, wenn man es denn will. Wenn man es denn wirklich will, dann sollte man natürlich auch dafür die Ressourcen bereitstellen! Aber angesichts des sich ankündigenden Lehrermangels in Deutschland, kann man von solch einer „multilingualen Schule“ bzw. „multilingualen Gymnasium“ wohl nur träumen! Eine solche Schule würde bestimmt weit mehr für die sogenannte Deutsch-Französische Freundschaft, für die europäische Idee leisten, als die vielen salbungsvollen „Sonntagsreden“ die man anlässlich des 60 Jubiläum des Élysée-Vertrag beiderseits des Rheins hören konnte. Reden und Beiträge die wahrscheinlich, jetzt wo ich diese Zeilen niederschreibe, längst schon wieder „vergessen“ sind!

Photo: l’aube franco-allemand sur le Rhin à Lauterbourg/ deutsch-französische Morgendämmerung auf dem Rhein bei Lauterbourg,  © Christophe Neff 23.08.2022

Christophe Neff, Grünstadt 05.02.2023


[1] In leicht veränderter Fassung auf Französisch unter dem Titel „Blognotice 01.05.2017: « Les fleurs qui poussent à travers les rails de la France périphérique » veröffentlicht. Tatsächlich gehörte dieser Blogbeitrag eine längere Zeitlang zu den am häufigsten konsultierten Blogbeiträgen in Paysages.

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