Blognotiz 19.09.2025: Spätsommer & Herbstfahrten durch die Frankenthaler Terrasse – Windenergielandschaften und Radiobegegnung mit Werner Herzogs „paysages intérieures“

Blick auf den Windpark Dirmstein-Groß-Kleinniedesheim-Heuchelheim, © Christophe Neff 19.09.2025

Ich fahre, wie so oft, nach Frankenthal an den Bahnhof, um jemanden aus der Familie abzuholen. Angesichts der „Kettenverspätungen“ der Bahn ist das Umsteigen in die Regionalbahn nach Grünstadt in Frankenthal ein richtiges Glücksspiel – und wenn man Pech hat, wartet man eben „ewig“ auf den nächsten Anschluss. Diesmal hole ich meine Schwägerin und ihren Ehemann ab. Sie leben eigentlich in einem französischsprachigen Land, wo die Züge in der Regel pünktlich sind. Diesmal kommen sie jedoch aus dem Norden, aus der Hansestadt Hamburg, und haben bereits mehr als zwei Stunden Verspätung, als ich ins Auto steige.

Im Radio läuft auf SWR Kultur die Sendung „Der Soldat des Kinos – Ehrenlöwe für Werner Herzog“, ein SWR-Kultur-Forum unter anderem mit Rüdiger Suchsland als Mitdiskutant[1]. Suchsland ist so etwas wie der „Monsieur Cinéma“ des Südwestrundfunks. Früher, in meiner Jugend, war das Herbert Spaich. In meiner Oberstufenzeit weckte mich das Radio – mein damaliger Lieblingssender SWF3 – mit den Filmtipps von Herbert Spaich oder mit Gisela Eberles Gesundheitsansprache „Guten Morgen – positiv sollen Sie den Tag beginnen“. Irgendwann begann ich dann auch aufzustehen und lief dann das „Steighäusle“ vom Sulgen hinab in die Talstadt zur Schule ins Gymnasium Schramberg um dort irgendwann nach Schulbeginn auch anzukommen. Das war noch die Zeit, als der kürzlich verstorbene Frank Laufenberg den „Popshop“ in SWF3 moderierte.

Ich war damals – wie auch später während meines Studiums – ein richtiger Cineast, ein Kinogänger, der ein- bis zweimal pro Woche ins Kino ging. Lange Zeit war Fitzcarraldo einer meiner Lieblingsfilme, vielleicht ist er es sogar immer noch. Für „Fitzcarraldo“ bin ich sogar mit dem Fahrrad von Schramberg nach Paris gefahren[2]. Das ist lange her, und im Kino war ich seitdem Abschluss des Studiums nur noch selten. Zuletzt sah ich Anselm – Das Rauschen der Zeit von Wim Wenders und viele Jahre zuvor Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht von Edgar Reitz, Film in dem Werner Herzog in einer Gastrolle den Alexander von Humboldt spielt.

In Grünstadt gibt es zwar einen sehr schönen Kinokomplex, „die Filmwelt Grünstadt“, doch meistens wird nichts gezeigt, das meinem Filmgeschmack entspricht. Filme in Originalfassung gibt es so gut wie nie. Im letzten Frühjahr hätte ich mir gerne das Original des brasilianischen oscarprämierten Films Ainda Estou Aqui (Für immer hier) angeschaut. Er wurde tatsächlich in einem Mainzer Kino gezeigt, doch die Komplikationen, die mit der „maladie de Mitterrand“ verbunden waren, verhinderten diese Kinofahrt nach Mainz. Kinofilme sehe ich mir meistens später im Fernsehen an – in den meisten Fällen auf Arte oder, wie zuletzt im ZDF, „An einem Tag im September“. Dieser Spielfilm berührt in gewisser Hinsicht meine eigene deutsch-französische Familiengeschichte[3].

Mein Fahrtweg ist gesäumt von Windkraftanlagen. Wegen der Komplikationen mit der „maladie de Mitterrand“ beschränkt sich mein aktueller räumlicher Radius auf Fahrten ans Klinikum Worms oder auf „familiäre Taxifahrten“ von oder zum Frankenthaler Hauptbahnhof. Die Landschaft, die ich durchquere, gehört laut der „Naturräumlichen Gliederung Deutschlands“ zur „Frankenthaler Terrasse“. Wie beim „Unterem Pfrimmhügelland“ gibt es auch hier keinen Wikipedia-Artikel über diesen Naturraum[4]. Die Funktionsweise eines Naturraums hat in Deutschland kaum noch gesellschaftliche Relevanz. Sonderbarerweise berufen sich die Proteste gegen den geplanten Windpark bei Dirmstein genau auf den Schutz des Naturraums zwischen Obersülzen und Dirmstein[5].

Das Windrad ist zum Symbol des Landschaftswandels, aber auch zum Symbol für „Nutzungskonflikte“ in der Landschaft Mitteleuropas geworden. Nicht umsonst ziert das Buchcover der Zweitauflage von „La théorie du paysage en France“von Alain Roger das Foto eines Windrads. Als ich mich vor Jahrzehnten auf der „Frankenthaler Terrasse“ in Richtung Grünstadt bewegte, konnte man nachts die hellerleuchtete amerikanische Raketenstellung auf dem Quirnheimer Berg sehen[6]. Die Raketenstellung ist verschwunden – nun leuchten dort nachts die Positionsleuchten der Windräder.

Blick auf Bockenheim und den Quirnheimer Berg mit Windkraftwerken, – dort befand sich im kalten Krieg die US-Raketenstellung, © Christophe Neff 19.09.2025

Meine Schwägerin bemerkt während der Autofahrt nach Frankenthal, dass sie das Gefühl habe, es gebe bei jeder Reise nach Grünstadt mehr Windräder. Sie wüchsen förmlich wie Pilze aus der Landschaft. Ich pflichte ihr bei und sage: „Ja, das Gefühl ist bestimmt nicht ganz falsch.“ Gleichzeitig weise ich darauf hin, dass man Energie nicht zum umweltpolitischen Nulltarif bekommt – und Energie verbrauchen wir alle. Doch meine Schwägerin hat nicht unrecht: Die Windräder sind längst zu einem markanten Landschaftelement geworden. Zwischen Grünstadt und Frankenthal sieht man sie überall – in der Nähe und in der Ferne. Man kann ihnen visuell kaum noch ausweichen.

Ich denke an Werner Herzog und versuche mir vorzustellen, wie ein Film von ihm über Windkraft und Windkraftlandschaften aussehen würde. Weltweite Windenergielandschaften aus Herzogs filmischer Erzählperspektive. Tatsächlich gibt es eine wissenschaftliche Arbeit über die Landschaften im Werk Werner Herzogs: „Les paysages intérieurs de Werner Herzog“, eine französische Abschlussarbeit von Manon Levet im Fach Kunstgeschichte, die man im „Halopenarchive“ finden und herunterladen kann. Dass diese Arbeit in Frankreich verfasst wurde, wundert mich nicht. Ich habe den Eindruck, dass Herzogs künstlerisches Werk dort erheblich mehr gewürdigt wird als in Deutschland.

In diesem Sommer gab es im „Le Monde“ eine lesenswerte Sommerserie über das Leben von Isabelle Adjani[7] – und darin war eine Episode dem Film „Nosferatu – Phantom der Nacht“ und den Dreharbeiten mit Werner Herzog und Klaus Kinski gewidmet. Auch in diesem Blog verfasste ich bereits einen Beitrag über einen Herzog-Film auf Französisch: „Souvenirs d’une soirée de samedi passé devant le petit écran : Au cœur des volcans, requiem pour Katia et Maurice Krafft, documentaire de Werner Herzog“. In Frankreich genießt Herzog doch ein anderes Renommee als in Deutschland. Ich glaube hierzulande ist er nur noch ein „Geheimtipp“ für eingefleischte Cineasten und Boomer. In der Generation meiner Kinder, oder auch bei meinen Studierenden, kennt ihn wohl kaum noch jemand.

Werner Herzog hat auch eine bemerkenswerte Autobiographie verfasst: „Jeder für sich und Gott gegen alle. Erinnerungen“. Als ich mit meiner Schwägerin und meinem Schwager an den Windrädern entlang durch die „Frankenthaler Terrasse“ nach Grünstadt fuhr, hatte ich gerade mit der Lektüre dieses Buches begonnen. Inzwischen weiß ich: Wer mehr über die „paysages intérieures“, also die inneren Landschaften Werner Herzogs, erfahren möchte – und darüber hinaus ein vollständiges Werkverzeichnis (Filmographie, Operninszenierungen) sucht –, der sollte dieses Buch lesen. Ich erlaube mir daraus die letzten Sätze zu zitieren „An ihrem Fuß ist sie achtundzwanzig Meter dick und aus besonders gehärtetem Stahlbeton gegossen. Dieser untere Teil stünde noch mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, majestätisch, ohne etwas verkünden zu können, keine Botschaft an niemanden. Dort am Fuß der glatten Betonwand, gäbe es kristallklares Sickerwasser aus den Felsen zur Seite, aufgesucht von Rudeln von Hirschen, als wäre (Herzog, Werner: 2022, p. 329)“

Quellen und Bibliographie:

  • Herzog, Werner (2022): „Jeder für sich und Gott gegen alle. Erinnerungen“. München, 5. Auflage 2022, © Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, ISBN 978-3-446-27561-4.
  • Levet, Manon (2016): „Les paysages intérieurs de Werner Herzog“. Art et histoire de l’art. HAL Id: dumas-01438354
  • Roger, Alain (Hrsg.) (2009): „La théorie du paysage en France : 1974–1994“ (Réédition). Seyssel: Champ Vallon, ISBN 978-2-87673-508-8.

Nachwort zur Texterstellung

Den vorliegenden Text entwarf ich am 28.08.2025 bei der familiären Taxifahrt Grünstadt- Frankenthal HBF- Grünstadt im Auto und speicherte es als Gedächtnisprotokoll ab. Die Niederschrift fand dann im Laufe des Septembers statt. Photos von den Windrädern des Windpark „Dirmstein-Groß-Kleinniedesheim-Heuchelheim“ sind auch in den Beiträgen „Wintersonnenwende 2024“ und „Blognotice 11.01.2022 : les liens perdus du blog paysages“ zu finden. Man kann die Windräder dieses „Windparkes“ von erhöhten Standorten in Grünstadt sehr gut sehen. Tatsächlich bin ich die „Wegstrecke“ Grünstadt – Frankenthal HBF – Grünstadt so oft gefahren, dass ich fast jeden Baum und Busch am Wegerand dort kenne. Die gartenflüchtige Pallisadenwolfsmilch (Euphorbia characias)[8] am Straßenrand in Dirmstein, der Mandelbaum in Obersülzen auf dem die Halsbandsittiche sich verpflegen und rasten[9], den Paradiesvogelbaum in Dirmstein der im Spätsommer & Herbst blüht[10].

Photo: © Christophe Neff 19.09.2025

Christophe Neff, Grünstadt August/September 2025


[1] Siehe : „ Der Soldat des Kinos – Ehrenlöwe für Werner Herzog, Karsten Umlauf diskutiert mit Dr. Kristina Jaspers, Kuratorin, Deutsche Kinemathek Berlin, Rüdiger Suchsland, Filmkritiker Prof. Dr. Marcus Stiglegger, Filmwissenschaftler. Forum, Sendung vom 28.08.2025

[2] Siehe u.a.  « De Schramberg à Paris en vélo – souvenirs de ma première rencontre avec « Notre – Dame de Paris » sowie « Mit Thomas E. Schmidt die Bundesrepublik der Babyboomer bereisen »

[3] Siehe u.a. „Ein persönlicher Rückblick auf sechzig Jahre Élysée-Vertrag“und « Blognotice 22.01.2013: pensées personnelles franco-allemandes sur le cinquantième anniversaire du Traité de l’Elysée »

[4] Siehe u.a. „Das Pfrimmhügelland: Von Weinbergen, Windrädern und Bauernkriegen: Eine Landschaft im Wandel – eine persönliche Blognotiz

[5] Zum geplanten Windpark Dirmstein siehe u.a. „Windpark Dirmstein – Ein Projekt von BayWa r.e.“ (Webpräsenz des Projektbetreibers)

[6] « Launching Area Quirnheim » dazu u.a. mehr in „Quirnheim – ehem. Atomwaffenstandort, Deutschland“ in Webpräsenz Atomwaffen  A – Z.

[7] Le Monde « Séries d’été, Isabelle Adjani, célèbre inconnue – Malgré ses quarante-cinq films, ses quinze pièces de théâtre et ses cinq Césars, la star du cinéma français reste une énigme. » Samuel Blumenfeld, August 2025.

[8] Siehe Inaturalist Beobachtung 276494790

[9] Siehe Inaturalist Beobachtung 315026479

[10] Siehe Inaturalist Beobachtung 314994187

Blognotiz 24.08.2025: Insomnialektüren und Déesse

Irgendwann in dieser Sommerwoche, wachte ich mitten in der Nacht auf und entdeckte den neuesten Beitrag in Schneckinternational – „Agde – Aout“. Wenn ich mal schlecht schlafe, was Gott sei Dank selten vorkommt, lese ich oder schaue aus meinem Schreibzimmer und betrachte den Nachthimmel. Sebastian Rogler schreibt in „„Agde – Aout“ über seine Ferieneindrücke in der Stadt Agde welche an der Mündung des Flusses Herault ins Mittelmeer liegt. Ein alter Citroën Bx fungiert als Titelbild und erinnert mich daran, dass ich irgendwann mal etwas über meine „Autos“ in paysages schreiben wollte. Also über die Autos die ich in meinem Leben schon gefahren habe und die dann auch Teil meines Lebens wurden. Hier in Grünstadt begegnet mir ab und zu eine alte „Déesse[1]“. Sie parkt öfter gar nicht so weit weg von meiner Schreibstube entfernt, quasi fußläufig in wenigen Minuten erreichbar. Sollte ich jemals einen größeren Betrag im Lotto gewinnen, würde ich mir auch so eine „Déesse“ kaufen wollen. Einfach so um durch die Landschaft zu fahren, durch Weinberge und Wälder. Aber dazu müsste man auch erst einmal Lotto spielen.

Ergänzend zu seinem Blogbeitrag hat S. Rogler auch in Facebook noch eine paar Urlausbsbilder aus Agde und Umgebung in veröffentlicht. Besonders beeindruckend ist das Photo „n’oublions jamais le progrom du 7 octobre 2023[2]. Ich bin mir nicht sicher, aber das müsste das « Hôtel de Ville » also das Rathaus des benachbarten  Béziers sein. Da kann man gemütlich mit den „Schiff“ auf dem Canal du Midi von Agde nach Béziers fahren. Oder mit dem Fahrrad entlang des alten Treidelsweges am Kanal entlang unter Platanen und Pinien die Landschaft zwischen beiden Städten erkunden.

Sebastian Rogler ist auch so ein „alter Blogger“ wie ich selbst  – er führt seinen Blog schon seit 2006, also seit bald zwanzig Jahren. Damit exitiert „Schneckinternational“ schon drei Jahre länger als das  Paysages Blog[3]. Das hat in unserer Zeit, in der fast nur noch über soziale Netzwerke kommuniziert wird „Seltenheitswert“ bzw. ist schon ein „Alleinstellungsmerkmal“. Vielleicht sollte Sebastian die Texte aus seinem Blog zu einem Buch machen. Ein Buch in dem man hier und da auch eines seiner Bilder und Photos abgedruckt findet. Ähnliches hat ja „Joe Bauer[4]“ auch mit seinen „Depeschen“ und „Kolumnen“ gemacht und diese u.a. im Buch „Einstein am Stuttgartstrand – Beobachtungen eines Stadtspaziergängers“ veröffentlicht. Den „Einstein am Stuttgartstrand“ habe ich durch eine Buchkritik von Julia Schröder im Radio entdeckt und anschließend mit Gewinn gelesen[5]. Am 4. September 2026, also in einem Jahr und ein paar Tagen wird Schneckinternational zwanzig Jahre alt – der Blog startete mit dem Beitrag „Schuhe“. Das wäre doch Anlass genug, ein schönes Buch aus den lesenswerten Texten von Sebastian Rogler zu machen. Ich wäre bestimmt Käufer und Leser eines solchen Buches.

Bibliographie:

Bauer, Joe (2024): Einstein am Stuttgartstrand. Beobachtungen eines Stadtspaziergängers. Berlin : edition TIAMAT, © Verlag Klaus Bittermann 2024, Critica Diabolis, 333 ISBN 978-3- 893-20-320-8

Christophe Neff, Grünstadt 24.08.2028


[1] Déesse (franz. Göttin) so wird im Französichen oft die Citroën DS bezeichnet.

[2] Zum 7 Oktober 2023 siehe u.a. „Souvenirs des chants d’Israël, « La Caravane des Cavaliers  (Chayreth Harochvim) »“  und „Paysages: Retour sur le 07 octobre 2023 –  „Stand with Israel!““. Im letzteren Beitrag findet sich auch ein Photo eines Bildes von Sebastian Rogler.

[3] Den Paysagesblog gibt es nun schon seit 16 Jahren. Siehe auch « Paysages – seizième année d’existence sur la toile donc déjà six ans sur wordpress.com (billet trilingues français, allemand, anglais) »

[4] Webpräsenz von Joe Bauer.

[5] Siehe u.a. „Buchkritik Joe Bauer – Einstein am Stuttgartstrand. SWRKultur Julia Schröder Buchkritik“, SWRKultur, 3.2.2025.

Das Pfrimmhügelland: Von Weinbergen, Windrädern und Bauernkriegen: Eine Landschaft im Wandel – eine persönliche Blognotiz

Blick auf die Pfeddersheimer Bluthohl, © Christophe Neff, 14.08.2025

Fahrtpause – meine regelmäßigen Fahrten ans Klinikum Worms werden sofern nicht wieder unvorhergesehene Komplikationen auftreten, für einige Wochen pausieren. Im späten Herbst wird es wieder soweit sein und ich werde meine Fahrten dorthin fortsetzen. Die Rebhänge werden ihr Laub verloren haben und die Herbstnebel werden vom Rhein aus das Pfrimmtal „fluten“ und ich werde wieder den Weg nach Worms zur „Tumornachsorge“ antreten[1]. Was die postoperativen Komplikationen betrifft, bin ich ja ein „gebranntes Kind“, aber letztlich gehört das eben auch zum Krankheitsbild der „Maladie de Mitterrand[2].

Vor der saisonalen Fahrtpause bin ich dann auch doch nochmals zweimal durch die „Pfeddersheimer Bluthohl“ gefahren und habe dort dann auch ein paar Bilder gemacht. Durch die geschichtsträchtige „Pfeddersheimer Bluthohl“ wollte ich ja schon längst gefahren sein, aber letztlich habe ich dies erst diese Woche verwirklicht [3] .

Man könnte auch vom Klinikum Worms direkt dorthin laufen – es ist eigentlich nur ein etwas längerer Spaziergang. Kürzere Spaziergänge habe ich ja schon einige rund um das Klinikum gemacht. Dabei habe ich am Rand eines Weinbergs einmal im März 2017 ein kleines, spontanes Vorkommen des Balkan-Windröschens (Anemone blanda) entdeckt[4]. Allerdings ist dieses Vorkommen am Fundort inzwischen verschwunden.

Was mich etwas wundert, ist, dass es über die Bluthohl keinen eigenen Wikipedia-Artikel gibt, – man findet nur eine kleine Notiz über die Bluthohl im deutschsprachigen Wikipedia-Artikel über die Schlacht bei Pfeddersheim. Genau so erstaunlich finde ich es, dass es über die Landschaftseinheit „227.51 Unteres Pfrimmhügelland[5]“, – also eine Untergliederung der ursprünglichen Naturräumlichen Gliederung Deutschlands die man heute „Naturräumliche Großregionen Deutschlands“ bezeichnet, auch keinen Wikipedia-Artikel gibt. Über die nicht weit davon entfernte „Unterhaardt“ (220.0 Unterhaardt), in der ich selbst lebe hatte ich vor Jahren mal einen Wikipedia-Artikel angelegt.

Bluthohl Ortseingang Pfeddersheim, © Christophe Neff, 14.08.2025

Als ich vor ein paar Tagen beim ersten Mal von Mörstadt kommend durch die Bluthohl fuhr begegnete ich bei der Posthohl einem Schwarm Bienenfresser und später sah ich die orangenen Fahnen die Bluthohl säumen. Fahnen die an die Schlacht von Pfeddersheim vor fünfhundert Jahren hier auf diesem Lössriedel, der durch den Hohlweg von Mörstadt nach Pfeddersheim von Nord nach Süd getrennt wird, erinnern sollen. Blutrot das Relief des mittelalterlichen  Pfeddersheim, schwarze und roten Sensen, in der schwarze Sense ist wohl auch ein Bundschuh zu sehen – das meine ich auf den Fahnen erkennen zu können. Auch vom Auto aus. Ich musste dabei auch an Historikerin Lyndal Roper denken als ich die Fahnen sah. Lyndal Roper hat ja einen Großteil der historischen Wirkungsstätten des Bauernkriegs mit dem „Fahrrad“ erkundet und so die historischen Landschaften des Bauernkrieges regelrecht „begriffen“. Ich hatte im vergangenen Herbst ja eine recht interessante Radiosendung über Roper und mir ihr in SWRKultur gehört[6]. Irgendwann wollte ich eigentlich ihr Buch über den Bauernkrieg lesen, – aber ich konnte mich nicht entscheiden ob ich das englische Original oder die deutschsprachige Übersetzung lesen sollte. Da ich diese Woche ja mehrere Termine im Klinikum Worms hatte, bin ich dann nochmals durch die Bluthohl gefahren, – diesmal hatte ich meine kleine Arbeitskamera dabei, eine Panasonic DMC-TZ71 Reisekamera mit Leica-Objektiv, die meines Erachtens immer noch bessere Bilder liefert als meine Smartphone-Kamera. Die Bienenfresser sind verschwunden, aber bei meiner kleinen Photoerkundung, begegneten mir einige Halsbandsittiche. Diesen grünen Vögel kann man ja auch rund ums Klinikum Worms begegnen.

Pfeddersheimer Bluthohl Denkmal, © Christophe Neff, 14.08.2025

Am Ortseingang von Pfeddersheim gibt es auch einen Gedenkstein, der an den Bauernkrieg und die Schlacht von Pfeddersheim erinnert. Auf einer kleinen Tafel findet man folgende Inschrift „Gedenkstein zur Erinnerung an die Bauernschlacht bei Peffedersheim am 23/24. Juni 1525. Im Kampf gegen das Heer der Fürsten um mehr Freiheiten und Rechte verloren im Bereich dieses Standortes mehrere tausend Bauern ihr Leben. Der ansteigende Hohlweg wird daher im Volksmund noch immer als Bluthohl bezeichnet. Errichtet im Juni 2000 vom Arbeitskreis für Kultur – Landschaftpflege Wo.-Pfeddersheim. Entwurf und Gestaltung Simon Knab. Pfeddersheim. Unterstützt vom Bauern und Winzernverein Pfeddersheim, Interessengemeinschaft Pfeddersheimer Winzer, Gisela Katzenwadel-Hils, Stergios Molotsios, Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur, sowie zahlreichen Firmen und Pfeddersheimer Mitbürgern“.  Vom Gedenkstein kann man nach Westen auf den Hohlweg der sich sich durch den Lößriedel nach Mörstadt erstreckt blicken, in der Ferne sieht die Flügel von Windrädern drehen. Der Hohlweg wird links und rechts von den gelben Erinnerungsfahnen gesäumt. Man schließt die Augen und hört die Schreie der Verwundeten, das Wehklagen der Sterbenden, – und sieht das Blut der Gefallenen durch den Hohlweg auf einen zukommen. Tausende Bauern sollen dort gefallen sein. Eigentlich weiß ich viel zu wenig über den Bauernkrieg. Das Buch von Lyndal Roper über den Bauernkrieg sollte ich schon eines Tages lesen. Die gelben Fahnen die den „Hohlweg“ nach Mörstadt säumen und an die Opfer der Schlacht von Pfeddersheim erinnern sollen, halte ich für sehr gelungen. Ich überlege mir auch ob die Flurbezeichnung „an der Stahlgasse“ etwas mit dem Bauernkrieg zu tun hat, oder ob diese Flurbezeichnung einen anderen historischen Hintergrund hat. Im Sommer des Jahres 2025 sind es die Windräder, die gelben Fahnen  die an die Schlacht von Pfeddersheim erinnern und das „Rebenmeer“ , die eindeutig die Landschaft des „unteren Pfrimmhügelland“ zwischen Worms und Monsheims prägen.

Pfeddersheimer Bluthohl, Blickrichtung Mörstadt mit Windkraftwerk, © Christophe Neff, 14.08.2025

Welche Landschaft wird den interessierten Betrachter dort auf den Lössriedel zwischen Worms und Monsheim in fünfhundert Jahren erwarten? Wird es noch Weinbau geben? Was wird wohl aus den zahlreichen Windrädern werden? Und wer wird sich noch tausend Jahre nach der Schlacht von Pfeddersheim an den Bauernkrieg erinnern – an die vielen Tausenden, die hier auf den Lößriedeln westlich und östlich der „Pfeddersheimer Bluthohl“ ihr Leben ließen, weil sie auf ein besseres Leben mit etwas mehr Freiheit hofften ?

Bibliographie:

Obwohl ich das Buch bis her nie in der Hand hatte, hier anbei die Bibliographischen Angaben des  Buches von Lyndal Roper „Für die Freiheit: der Bauernkrieg“. Wobei mir der englische Originaltitel des Buches weit besser gefällt – „Summer of Fire and Blood – The German Peasants‘ War“.

Roper, Lyndal (2024): Für die Freiheit : der Bauernkrieg 1525 / Lyndal Roper ; aus dem Englischen von Holger Fock und Sabine Müller. S. Fischer Verlag. ISBN 978-3-10-397475-1

Roper, Lyndal (2025): Summer of fire and blood : the German Peasants‘ War. London, Basic Books, ISBN 978-1-3998-1802-5

Photos: © Christophe Neff, 14.08.2025

Christophe Neff, Grünstadt August 2025 (15.08.2025)

P.S. (16.08.2025): Die im Text erwähnten Fahnen sowie der „Gedenkstein zur Erinnerung an die Bauernschlacht“ (s. o. im Fließtext) wurden von Simon Knab, dem stellvertretenden Vorsitzender der Kulturinitiative Pfeddersheim, entworfen.


[1] Siehe auch „Blognotiz 24.11.2024: Worms im Nebelmeer

[2] Siehe auch « Cahiers de maladie (Cancer de la prostate) » und « Wintersonnenwende 2024 »

[3] Siehe auch „Blognotiz 31.07.2025: der Juli geht zu Ende und die Mauersegler sind schon fortgezogen“.

[4] Im Frühjahr 2017 war ich zur Behandlung der Folgen eines kryptogenen Schlaganfalls im Klinikum Worms untergebracht , siehe u.a. auch „Blognotice 17.03.2017: Il y avait une fois un train direct Worms – Paris via la Zellertalbahn“.

[5] Siehe auch „227.51 Unteres Pfrimmhügelland“, Landschaften in Rheinland-Pfalz, Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität.

[6] Siehe „Lyndal Roper – Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525“, SWRKultur Gespräch, 22.11.2024

Zum Welttag des Tagebuches am 12. Juni 2025

Am Morgen, des Donnerstag 12 Juni erfahre ich im Radio, dass es einen Welttag des Tagebuches gibt (Kurzform Tag des Tagebuchs)[1]. Also zwei Tage nach meinem 61. Geburtstag. Tagebuch schreibe ich schon seit gefühlten Ewigkeiten, ich würde mal sagen, so ca. 45 Jahre. Über das Tagebuch schreiben hatte ich auch schon vor ein paar Wochen im Beitrag „Blognotiz : Palmsonntag 13.04.2025“ ein paar Zeilen verfasst. Abgesehen davon, dass ich selbst Tagebuch schreibe, hatte ich mich schon immer fürs Tagebuchschreiben interessiert, wusste dass es in Emmendingen ein deutsches Tagebucharchiv gibt[2], aber von einem Tag des Tagesbuches hatte bis zu diesem Donnerstagmorgen noch nie etwas gehört. Nach dem „Hören“ des besagten Tagebuchrundfunkbeitrags suchte ich nach einem Eintrag „Welttag des Tagebuches“  bzw. „Tag des Tagebuch“ in der deutschen Wikipedia, aber da scheint dieser Tag doch noch nicht vorhanden zu sein. Eine Suche auf Französisch unter „Journée mondiale du journal intime“ führt auch zu keinem besseren Ergebnis. Hingegen finde ich bei Weka France einen Hinweis auf eine „Journée mondiale du blog 2025“, also sozusagen einen Welttag des Blogs. Auch auf Englisch konnte ich unter „World Diary Day“ nichts Verwertbares finden.

Der Tag des Tagebuches bzw. der Welttag des Tagebuches scheint wohl nur im deutschen Sprachraum bekannt zu sein. Er soll an den 12 Juni 1942 erinnern, als Anne Frank von ihrem Vater ein Notizbuch erhielt und mit dem Tagebuchschreiben begann[3]. Dieses Notizbuch sollte die Grundlage des berühmten „Tagebuches der Anne Frank“ werden. Wer diesen Tagebuch Gedenktag, den man wohl nur im deutschsprachigen Raum kennt, initiiert hat, das konnte ich bei meiner kleinen Recherche nicht herausfinden. Ich habe das Tagebuch der Anne Frank zum ersten Mal wohl als „Unterstufenschüler“ gelesen, so in der 6. oder gar 7. Klasse. Das Buch hatte mich ziemlich aufgewühlt, aber zum Tagebuch schreiben hat es mich bestimmt nicht bewegt. Ich hätte es auch schon fast als verwerflich empfunden mich an Anne Franks Tagebuch zu orientieren.

Überhaupt – was bewegt einem zu Tagebuch schreiben ? Was hat mich als Mittelstufenschüler des Gymnasium Schramberg Anfang der 1980 Jahre, oder sogar früher, bewogen ein Tagebuch zu führen? Tagebuch, welches ich bis zum heutigen Tage mehr oder weniger regelmäßig bis zum heutigen Tag mit „Tagesnotizen“ fülle.

In meinem persönlichen Umfeld gab es meinen französischen Großvater Jean Migliori, der regelmäßig ein „Journal“ führte. Er notierte mit Akribie das lokale Wettergeschehen, – und kommentierte das Weltgeschehen. Das Weltgeschehen das war vor allem die Lektüre seiner geliebten Tageszeitung – dem Le Monde. Wetteraufzeichnungen, das Festhalten seines Gesundheitszustandes und die Kommentare zu einzelnen Artikel aus der „Le Monde“ – und hier und da ein paar Zeichnungen – das war sein Tagebuch. Manchmal las er mir auch abschnittsweise daraus vor. Und für uns seine deutsch-französischen Enkelkinder aus Schramberg-Sulgen en „Forêt –Noire“ hat er auch mal eine ganze Bildergeschichte gezeichnet[4]. Heute würde man das als eine Graphic Novel bezeichnen. Ich denke, dass zumindest bei mir das Tagebuch Schreiben meines Großvaters Jean Migliori einer der Beweggründe war, dass ich selbst eines führte. Und ich wurde durch die gemeinsame Lektüre des Monde zum Le Monde Leser, und irgendwann dann auch zum Abonnenten von Le Monde. Und dieser Blog begann ja auch im Mai 2009 als Abonnentenblog der Tageszeitung Le Monde[5] vor über 16 Jahren.

Und was den Blog paysages betrifft – angesichts der derzeitigen Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika – muss ich leider feststellen – dass meine Befürchtungen, die ich in „Blognotice “27.10.2024” :  America where are you going ?“ niedergeschrieben hatte leider immer mehr zur Realität werden. Ich hätte es mir anderes gewünscht – und ich hoffe trotz allem, dass die USA immer noch eine Demokratie bleiben! Der aktuelle Spiegel, – hat den Entwicklungen in den USA – seine aktuelle Titelstory gewidmet „ Will man da noch hin“? Soweit die USA eine liberale Demokratie bleiben, würde ich bestimmt einmal dahin wollen. Als Kind und Jugendlicher habe ich ja immer von einer Reise in die USA geträumt. Aber zurzeit erscheint mir eine Reise unter der Präsidentschaft von Donald Trump weder wünschenswert noch durchführbar.

Am Tag des Tagebuch 2025 schrieb ich dann auch noch einen kurzen Tagebucheintrag. Ich verbrachte auch wieder viel Zeit bei der Hausärztin/meiner Urologin. Die Maladie de Mitterrand, – und die ganzen damit verbunden postoperativen Komplikationen bestimmen meinen Tagesablauf. So hatte ich mir das vor über einem Jahr, Ende Juni 2024 kurz vor der totalen Prostatektomie bestimmt nicht vorgestellt. Aber grundsätzlich habe ich ja eine gute Prognose, – und man muss trotz aller Widrigkeiten die einem Begegnen das Beste daraus machen. In Deutschland ist der Begriff „Maladie de Mitterrand“ quasi unbekannt, ich hatte schon im Winter darüber geschrieben[6]. Dafür hat die Diagnose Prostatakrebs durch Veröffentlichung der Prostatakrebsdiagnose des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Joe Biden auch in Deutschland einer erhöhte Medienaufmerksamkeit bekommen[7]. In diesem Zusammenhang fand ich den Artikel der Spiegeljournalistin Irene Berres „Prostatakrebs ertasten? Was Männer über Früherkennung wissen müssen“ besonders gelungen. Im Grunde genommen sollte jeder Mann über 40 diesen Artikel lesen.

Im Tagebucheintrag des 14 Juni findet sich auch eine Notiz über den Air India Absturz, also den Absturz des Air-India-Flug 171 am Morgen des 12. Juni. Ich musste da gleich an Kindheitstage denken, denn für mich war damals der Name Air India mit Flugzeugkatastrophen im Montblanc Massiv verbunden. Das war der Air-India-Flug 245, also die Lookheed-749A « Malabar Princess » die am dritten November 1950 am Rocher de la Tournette Montblanc Massiv zerschellte.  In Frankreich wurde dieses Flugzeugunglück „Accident du Malabar Princess“ genannt. Dieses Ereignis hat auch das kulturelle Gedächtnis Frankreichs geprägt, – so schrieb Henry Troyat den Roman „la neige en deuil“ – der dann die Vorlage für den amerikanischen Spielfilm „der Berg der Versuchung (the mountain)“ von  Edward Dmytryk mit Spencer Tracy in der Hauptrolle bildete. Mich hatte dieser Spielfilm, den ich auch als Kind mehrfach gesehen hatte schwer beeindruckt. Sechzehn Jahre später , am 24 Januar 1966, zerschellte dann eine weitere Air India Maschine im Montblanc Massiv, – es war der Air-India-Flug 101.

Am Welttag des Tagebuches habe ich auch noch ein bisschen gelesen, so wie ich es fast jeden Tag tue. Die Anfrangskapitel des Buches„Das Camembert-Diagramm – Ein etwas anderes Frankreich Porträt“  der Spiegel Journalistin Nadia Pantel. Das Buch ist eine Art neuer geographische Landeskunde im Sinne einer „Gastogeographie“ – „géographie gastronomique“ Frankreichs[8]. Das Buch entdecke ich durch den im Spiegel abgedruckten Auszug „Steak frites und Nationalismus“. Auch schon vor der Lektüre dieses interessantes Text war mir klar, dass Steak frites – und in manchen Gegenden Frankreich auch Moules frites den Charakter eines Nationalgerichtes haben. Ich selbst verbinde die beiden Gerichte auch mit der gastronomischen Geographie Frankreichs bzw. der Frankophonie da man ja Moules frites durchaus auch Belgien zuordnen könnte und beide Gerichte schmecken mir außerordentlich gut. Wobei man sagen muss, dass es immer noch schwer ist ein gutes Steak frites – und das Steak wohlgemerkt „saignat“ in Deutschland im Restaurant zu finden. Gleiches gilt auch für ein schönes Moules frites Gericht. Aber dazu könnte man auch hinzufügen, dass man außerhalb Schwabens in Deutschland keinen guten Wurstsalat finden kann[9]. Vielleicht schreib ich ja irgendwann etwas mehr über dieses interessante Buch von Nadia Pantel. Abschließend sollte man noch bemerken, dass es in der deutschsprachigen Wikipedia keinen Artikel über das Steak Frites gibt, – hingegen findet man ein kleines Artikelchen über die Moules frites.

Und dann las ich auch noch ein paar Seiten in „Marseille – Die große Flucht der Literatur“ des Publizisten Uwe Wittstock[10]. Das Buch hatte mir ein Freund vor der Prostataop geschenkt, – und ich hatte auch schon ein paar Seiten darin gelesen, – und nun habe ich es ein Jahr nach der OP endlich zu Ende gelesen. Es ist ein hervorragendes Buch, über das vielleicht auch einmal mehr schreiben sollte. Es ist ein Buch das auch meine eigene persönliche Familiengeschichte tangiert, ja das Tagebuch schreiben in einem gewissen Sinne berührt. Es waren die Ereignisse in Montoire, also die Entrevue de Montoire am 24.10.1940 die meine französischen Großeltern in die Résistance trieben[11]. Montoire das war der Beginn der Kollaboration zwischen Vichy – Frankreich und Nazi-Deutschland.  In Uwe Wittstocks Buch begegnet man den „Ereignissen von Montoire“ auf der Seite 231. Diese offizielle Kollabaration zwischen Vichy-Frankreich und Nazi-Deutschland empörten das Volkschulslehrerehepaar Jean Migliori und Germaine Migliori née Monasse so sehr, dass Sie sich der jungen Widerstandbewegung der Résistance anschlossen. Und so kam ich als Enkel des „Instituteur“ und „Resistant“ Jean Migliori, Sohn italienischer Einwanderer, zum Tagebuch Schreiben. Durch meinen Großvater der mir die Freude am Schreiben, am Tagebuch führen an seinem Schreibtisch in Aubord in den 1970er Jahren vermittelte. Tagebuch hat er wohl mindestens seit Mitte der 1930er geführt als er seine Stelle als Volkschullehrer in Hussigny antrat. Und dieses Tagebuch fütterte er relativ regelmäßig bis zu seinem Tod im Jahr 1980 im südfranzösischen Nîmes mit Tagebuchnotizen und Bildskizzen. 

Abschließend sei noch hinzugefügt, dass das „Tagebuch Schreiben“ angeblich zur Zeit eine kleine Renaissance erfährt. Die Coronaepedemie und die daraus folgenden Lockdowns sollen zu vermehrten Tagebuch führen geführt haben[12]. Ich habe da doch so meine Zweifel, ob diese sogenannte „Tagebuchrenaissance“ wirklich nachhaltig war, ja ob sie überhaupt jemals stattgefunden hat. Ich kenne jedenfalls niemanden aus dem erweiterten Freundes und Bekanntenkreis der dauerhaft über Jahre ein Tagebuch führt.

Bibliographie:

Anne Frank Fond (Hrsg); Frank, Anne; Pressler Mirjam (Übers.) (2024): Anne Frank Gesamtausgabe : Tagebücher – Geschichten und Ereignisse aus dem Hinterhaus – Erzählungen – Briefe – Fotos und Dokumente.Anne Frank ; herausgegeben von Anne Frank Fonds, Basel ; aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler ; mit Beiträgen von Gerhard Hirschfeld, Mirjam Pressler und Francine Prose, Fischer Taschenbuch Verlag Juni 2024, ISBN 978-3-596-71077-5 (Paperbackausgabe), ISBN 978-3-10-402068-6 (E-Book/epub)

Pantel, Nadia (2025): Das Camembert-Diagramm. Ein etwas anderes Frankreich Porträt. Copyright © 2025 by Rowohlt · Berlin Verlag GmbH, Berlin, ISBN  978-3-644-02189-1

Wittstock, Uwe (2024): Marseille. Die große Flucht der Literatur,  © C.H.Beck,  oHg, München 2024, ISBN 978-3-406-81490-7

Bild: Scan des Tagebuch des Verfassers, Auszug des Eintrages vom 12.06.2025

Christophe Neff, Grünstadt im Juni 2025


[1] Hierzu „Tag des Tagebuchs – Kein Spiegel der Seele, aber wertvolle Zeitdokumente: Was Tagebücher uns verraten“, SWRKultur, 12.6.2025.

[2] Webpräsenz des „Deutschen Tagebucharchives“ in Emmendingen.

[3] Dazu u.a. „Heute ist Tag des Tagebuchs! , Literarisches Zentrum Gießen e.V. “ und „Tag des Tagebuchs am 12. Juni, Arbeitsstelle Holocaust Literatur 12.06.2023“.

[4] Les OVNI à Schramberg-Sulgen en  Forêt-Noire ! (Jean Migliori ca. 1971) (Titel aus dem Gedächtnis rekonstruiert)

[5] Zur Geschichte des Paysagesblog siehe auch « Paysages –   quinzième année d’existence sur la toile donc déjà cinq ans sur wordpress.com (billet trilingues français, allemand, anglais) ».

[6] Siehe u.a „Wintersonnenwende 2024“ und « Cahiers de maladie (Cancer de la prostate) »

[7] Siehe u.a. Irene Berres & Veronika Hackenbroch „Metastasen und Hormontherapie – Fortgeschrittener Prostatakrebs – was Joe Bidens Diagnose bedeutet. Die Nachricht ging um die Welt: Joe Biden hat Prostatakrebs. In diesem Stadium ist die Erkrankung nicht mehr heilbar, aber Therapien können ihr Fortschreiten verzögern.“ Der Spiegel, 20.05.2025

[8] Vgl. „Schwäbisch – Französische Lesenotizen zu „Mein Schwaben“ von Vincent Klink

[9] Siehe u.a. „Schwäbisch – Französische Lesenotizen zu „Mein Schwaben“ von Vincent Klink

[10] Eine lesenswerte Buchkritik des Buches schrieb Florian Ilies in der Zeit „ „Marseille 1940“: Die Schutzengel der Geschichte – Anschaulich und atemlos: Uwe Wittstock erzählt in „Marseille 1940“, wie flüchtende jüdische Intellektuelle vor der tödlichen deutschen Gefahr aus Frankreich gerettet werden konnten.“ Die Zeit, 08/2024, 16. Februar 2024

[11] Siehe u.a. « Quoi qu’il arrive, la flamme de la résistance française ne doit pas s’éteindre et ne s’éteindra pas (18.06.1940 – 18.06.2010) »

[12] Siehe u.a. „Tagebücher – Warum wir sie schreiben und wie die Forschung sie nutzt“, SWRKultur, das Wissen, 11.4.2025

Lesenotizen zu „der Bücherfreund“ von Monika Helfer (Text) & Kat Menschik (Illustrationen)

Diese Lesenotiz ist dem Buch „der Bücherfreund“ gewidmet, welches ich in der Radiosendung „Lesenswert“ in SWRKultur am 16.2.2025 durch die Buchkritik von Jörg Magenau „Monika Helfer – Der Bücherfreund “ entdeckte.   Als ich diese Buchrezension hörte dachte ich mir, – dieses Buch werde ich bestimmt lesen. Aber das denke ich tatsächlich oft, beschaffe mir das Buch, – und dann bleibt es erst einmal ungelesen in meiner Bibliothek. Völlig unabhängig, ob es ich um ein traditionelles gedrucktes Buch handelt oder um ein E-Book. Irgendwann wird das neuerworbene Buch dann doch angelesen, überflogen und letztendlich irgendwann mal auch „auf der Zeile“ gelesen. Den Bücherfreund habe ich mir dann doch relativ schnell nach der gehörten Rezension im örtlichen Buchhandel, also der Buchhandlung Frank in Grünstadt gekauft und dann an einem schönen Frühlingsnachmittag auf unserer Gartenterrasse gelesen, – abends dann, als die Sonne unterging hatte ich es auch schon zu Ende gelesen. Ich bin froh, dass ich es mir noch als traditionelles Buch gekauft habe, und nicht als E-Book für meinen Tolino, weil es sich tatsächlich um ein sehr schön gemachtes Buch handelt[1].  Die Illustrationen von Kat Menschik ergänzen den Text von Monika Helfer eindringlich. Mit Text und Bildern reist man durch die Bücherwelt des „Vatis“, dem Vater von Monika Helfer, auf der Tschengla[2]. Man reist auch durch die Nachkriegswelt, die dem zweiten Weltkrieg folgte, und den Erinnerungen die diese Welt hinterließ. In gewisser Weise bin ich ja auch ein Kind dieser Nachkriegswelt auch wenn ich doch jünger als die Autorin bin[3]. Auf dem Bild der Seite 21 glaube ich den „Unteroffizier Beckmann“ der den Zug der Versehrten, die dunklen stummen Schatten  der Erinnerung an den zweiten Weltkrieg, anführt, zu erkennen. „Draussen vor der Tür“ welches ich als Oberstufenschüler gelesen hatte, – ist mir bis mir bis heute als Lektüre unvergesslich geblieben. Im Staatstheater Stuttgart wird das Theaterstück von Borchert zu Zeit in einer Neuinszenierung von Sapir Heller aufgeführt, – die Premiere war am 01. November 2024[4]. Bisher habe es nicht geschafft das Stück anzusehen. Ich war ja auch zu krank und zu schwach dazu. Vielleicht kann ich es ja im anstehenden Frühjahr, soweit das Stück noch gespielt wird, mit Freunden aus Stuttgart ansehen. „Kriegsversehrtenschlangen“ – diese Bilder sind von unseren Straßen längst verschwunden, – aber in der Ukraine, – und wohl in Russland sieht man sie wieder, die „Kriegsversehrten“. Ich frage mich, ob man in Russland die Kriegsversehrten vom Straßenbild fernhält, ob man sie einfach aus dem kollektiven Gedächtnis wegretuschiert. Beim Lesen des Buches, das ja so viel vom Kriegs erzählt, denke ich oft an die Ukraine, denn dort herrscht jetzt der Krieg, – und ich frage mich, ob die Autorin nicht auch ab und zu an die Ukraine dachte als sie den Text schrieb. Aber die Autorin ist ja mit den Schatten des letzten Weltkrieges, bzw. den Erinnerungen daran aufgewachsen. Das Kriegsversehrtenheim auf der Tschengla hat es wirklich gegeben, – denn die Autorin erzählt uns die Geschichte ihres Vaters und seinen Büchern. Sie hat diese Geschichte ausführlicher und anders schon einmal in dem Roman „Vati“ erzählt. Aber dieses Buch kenn ich (noch) nicht. Ja, und natürlich geht es im Bücherfreund um Bücher und Verlust. Bücherverlust und andere Verluste, die jedoch nur angedeutet werden. Die Idee des Vatis dem drohenden „Bücherverlust“ durch das Vergraben von einigen Büchern zuvor zukommen, das hat doch einen gewissen Charme, aber zeigt auch die Ausweglosigkeit der Situation. Ich selbst habe viel zu viele Bücher, und weiß eigentlich schon gar mehr wohin mit all diesen Büchern – und ich werde mich zwangsläufig von einem Teilen meiner Bücher trennen müssen. Um das Platzproblem der überquellenden Buchregale zu lösen habe ich mir ja auch einen E-Book Reader gekauft, – darüber habe ich hier in diesem Blog schon mehrfach berichtet[5]. Im Juni 2031 werde ich das gesetzliche Pensionsalter erreicht haben, – und dann allerspätestens sollte ich wissen, wohin mit all diesen Büchern in meinem Büro am Institut für Geographie und Geoökologie (IFGG) am KIT. Vielleicht mit dem Studienfreund aus Mannheim, auch er ein Bücherfreud aus dem Schwarzwald, im besagten Schwarzwald eine Hütte mieten oder kaufen und dort die Bücher mit einem Hausvorrat an Klingelberger, Ruländer, Spätburger lagern. Den dreibändigen Rikli „das Pflanzenkleid der Mittelmeerländer“ , die „Vegetationskunde des Schwarzwaldes“ von Bartsch & Bartsch, die letzte (deutschsprachige ) Ausgabe des Ellenberges „Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen“ , die Studie „Contribution à la mise en valeur de la Costière du Gard : étude du milieu“ mit den farbigen Vegetationskarten von Kuhnholtz-Lordat, den Maydell „Arbres et Arbustes du Sahel“ werde ich mir auf jeden Fall mit nach Hause nehmen. Den Ellenberg hatte ich mir ja seit dem Studium bei jeder Neuausgabe neu gekauft. Von einer Hütte im Schwarzwald als Bleibe für die geliebten Bücher und ein paar Bouteillen Wein um mich dort mit dem Bücherfreund aus der Studienzeit in Mannheim zu Wanderungen durch den Schwarzwald zu treffen, – das wird nur ein Traum bleiben. Studierende werden diese Bücher, also meine „Bürobücher“ die ich mir teilweise schon als Student gekauft hatte,  auch kaum gebrauchen können, das Fach, das ich vor nun vor über vierzig Jahren in Mannheim und Montpellier studiert habe[6], das kann man heut zu Tage eigentlich ohne eine Buch in die Hand zu nehmen, studieren. Manchmal wundere ich mich auch über Fachkollegen die „Bücher“ und „Buchwissen“ für relativ unbedeutend halten, ja selbst längere Zeitschriftenaufsätze gelten da schon als unwissenschaftlich oder gar irrelevant. Da komme ich mir manchmal vor wie ein Feld, Wald und Wiesengeograph aus einer „Welt von Gestern“, sozusagen eine vom Aussterben bedrohte Art[7]. Die wenigen oben genannten Bücher, und vielleicht noch ein zwei mehr, werde ich dann also  – wenn es soweit ist und ich mich vom Berufsleben verabschiede -einpacken und nach Hause nehmen und zum „Bücherfreund“ von Monika Helfer und der Flora Helvetica ins Buchregal stellen.  Den „Bücherfreund“ von Monika Helfer, kann ich denjenigen empfehlen, die gern noch ein Buch in die Hand nehmen, die beim Lesen innehalten können, – die Augen schließen um mit Monika Helfer  Bücher und Erinnerungslandschaften aus der Nachkriegszeit auf der Tschengla in Vorarlberg zu entdecken ! Und überhaupt, ohne das literarische Werk von Monika Helfer wäre das Kriegsopfer-Erholungsheim Tschengla, wahrscheinlich schon längst vergessen. Vielleicht sollte ich da irgendwann mal auch hinfahren auf die Tschengla und mir diese Welt, oder was von ihr übriggeblieben ist, auch mit eigenen Augen ansehen. Und sollte ich im Winter kommen, werde ich mich an die junge Frau in der Nachkriegszeit erinnern, die die Rehe mit bloßen Händen am schneebedeckten Waldrand fütterte.

Quellen und Bibliographie:

Bartsch J. & M. (1940): Vegetationskunde des Schwarzwaldes. Jena, Fischer, Pflanzensoziologie Band 4.

Borchert, Wolfgang (1982): Wolfgang Borchert. Das Gesamtwerk. Mit einem biographischen Nachwort von Bernhard Meyer-Marwitz. Hamburg, Copyright  © by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg, 440. Tausend Januar 1982

Ellenberg, Heinz; Leuschner, Christoph (2010): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen in ökologischer, dynamischer und historischer Sicht : 6., vollst. neu bearb. und stark erw. Aufl. / von Christoph Leuschner. Mit einem Beitr. von Hartmut Dierschke. Ulmer, Stuttgart. ISBN 978-3-8001-2824-2

Helfer, Monika (2021): Vati. Roman. Carl Hanser Verlag München. ISBN 978-3-446-26917-0

Helfer, Monika; Menschik, Kat (2025): Der Bücherfreund. Illustriert von Kat Menschik. © 2025, Carl Hanser Verlag München, erste Auflage 2025. ISBN 978-3-446-28273-5

Kuhnholtz-Lordat, Georges et al. (1949) : Contribution à la mise en valeur de la Costière du Gard : étude du milieu. Mémoires de la Société d’Etude des Sciences Naturelles de Nîmes, Nr. 8.

Lauber, Konrad; Wagner, Gerhart; Gygax, Andreas (2024): Flora Helvetica. Illustrierte Flora der Schweiz, mit Artbeschreibung und Verbreitungskarten von 3250 wild wachsenden Farn und Blütenpflanzen, einschließlich wichtiger Kulturpflanzen. Siebte, überarbeitete Auflage. Bern, © 2024 Haupt Verlag, Bern. ISBN 978-3-258-08349-0

Magenau, Jörg (2025): Buchkritik. Monika Helfer – Der Bücherfreund. SWRKultur Lesenswert 14.02.2025

Maydell, Hans-Jürgen von (1990) : Arbres et Arbustes du Sahel – leurs caractéristiques et leurs utilisation. GTZ, Eschborn, ISBN 3-8236-1197-6

Neff, C. (2023): Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band III, Bad Saulgau Mai 2023, S. 252 – 259. (Ein PDF – Sonderdruck des Buchbeitrages kann in der KITOPEN Bibliothek heruntergeladen werden DOI: 10.5445/IR/1000159193)

Rikli, Martin Albert (1943 – 48): Das Pflanzenkleid der Mittelmeerländer, 3 Bde., 1943-48. Bern, Haupt.

Christophe Neff, Grünstadt, im März 2025 (veröffentlicht am 10.03.2025).


[1] Den „Tolino“ habe ich mir gekauft um den Raumproblemen meiner Bibliothek Herr zu werden, siehe auch « Une liseuse „Tolino“ pour délester ma bibliothèque».

[2] Tschengla ist eine Hochebene in der vorarlbergischen Gemeinde Bürserberg. Sonderbarerweise gibt es keinen Wikipediaartikel über „Tschengla“, auch über das Kriegsopfer Erholungsheim Tschengla gibt es in der Wikipedie nichts zu finden. In der Vorarlberger Landesbibliothek kann man hier Ansichtskarten vom Beginn der 1950 Jahre finden.

[3] Siehe auch „Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg“.

[4] Siehe „Draußen vor der Tür – von Wolfgang Borchert“ , Schauspielhaus Stuttgart.

[5] Siehe u.a. « Une liseuse „Tolino“ pour délester ma bibliothèque», « Willy Hahn – Aïcha et les 40 lecteurs – Scènes d’une vie de libraire » notices de lecture, voyages et souvenirs d’un habitué de la librairie « à Livre ouvert » à Wissembourg », « Blognotice 12.02.2025: vers le soleil à Wissembourg pour enrichir ma bibliothèque » , „ Erinnerungen  und Gedankenfetzen zu Martin Walsers autobiographischem Roman „ein springender Brunnen“,

[6] Siehe u.a. „Mannemer Dreck- traumhafte Zeiten – eine autobiographische Zeitreise mit Musikbegleitung nach Mannheim“ und „Das Fach Geographie an der Mannheimer Hochschule“.

[7] Siehe u.a. auch « Flâneries d’un phytogéographe sur le billet « Les fleurs qui rendent immortel » du blog « l’Aventura – le BD blog scientifique de Fiamma Luzzati » ».

Schwäbisch – Französische Lesenotizen zu „Mein Schwaben“ von Vincent Klink

Mein Schwaben – Leben und Speisen im Ländle des Eigensinns“ so heißt das neueste Buch von Vincent Klink. Die erste Spur des Buches entdeckte ich in einem Spiegelbeitrag über die Erfahrungen von Barbara Supp als „Handlangerin“ in Kliniks Wielandhöhe[1]. Beim Lesen des interessanten Artikels von Barbara Supp, erinnerte ich mich daran, dass ich irgendwann in meinem Leben mal vorgehabt hatte vor meinem sechzigsten Geburtstag dort einen schönen Abend mit Studienfreunden aus Mannheim und Stuttgart zu verbringen. Aber dann erwischte mich u.a. anderem die Krankheit die schon Mitterrand zu Fall brachte, – die „Maladie de Mitterand“ – und irgendwie war es auch dann wieder vergessen[2]. Meinen sechzigsten verbrachte ich dann im Schwarzwald, in Buchenberg[3] nicht weit von der Schwarzwaldstadt Schramberg in der ich aufgewachsen bin. Mit schönen Wanderungen durch den Schwarzwald und gutem Essen. Auch in Buchenberg sowie der gesamten Raumschaft Schramberg kann man gut essen, wie beispielsweise im Café Rapp in Buchenberg, dem Hirsch in Schramberg, dem Adler auf dem Fohrenbühl um einfach ein paar Namen zu nennen. Natürlich kann man diese Gasthöfe nicht mit der Wielandshöhe in Stuttgart vergleichen. Anders, aber dennoch gut. Und dann gibt es auch noch die Friedhofskapelle St. Nickolaus in Buchenberg, – die zu meiner Schulzeit als einer ältesten Kirchen im Schwarzwald zählte. Von Buchenberg kann man schön auf den Mönchhof[4] und dann weiter aufs „Hardt“ spazieren gehen. Man kann das natürlich auch in umgekehrter Richtung laufen. Bei guter Sicht hat man auf dieser Spazierstrecke abschnittsweise einen schönen Blick auf die Schweizer Alpen, den Säntis und viele andere Berggipfel der Ostalpen. Früher gab es an diesem Weg am Waldrand auch mal eine Bank mit dem Namen „Alpenblick“. Erwähnenswert ist auch die im Jahre 2000 vom damaligen Hofbauer und Wirt Martin Flaig im Mönchhof erbaute Hofkapelle namens St. Martin[5].

Je nachdem wie man „Schwaben“ oder das „Schwäbische“ definiert, bin ich ja mitten im „Schwäbischen“ aufgewachsen. Und mit dem „Schwäbischen“ hat es ja schon eine besondere Bewandtnis bei mir. Als Kind, zu Grundschulzeiten, meinten wiederholt Freunde meiner Eltern „der Bua kann kei Hochdeutsch, – sondern nur Französisch und Schwäbisch[6]“. Hochdeutsch lernte ich dann erst in der Grundschule und später im Gymnasium in Schramberg. Schwäbisch lernte ich „uf der Gass“ – wobei man eigentlich sagen müsste ich lernte das auf den Höfen[7], den Wiesen und Wäldern auf dem Schoren, der Hutneck[8] und dem Feuerenmoos in der Bergvorstadt Schramberg-Sulgen und bei der Verwandtschaft, also meinen Großeltern und den vielen Neff’s in der Karlstraße vis à vis des Saulgauer Bahnhofes[9]. Und wahrscheinlich ist mein Deutsch doch immer noch dialektal „schwäbisch“ gefärbt, obwohl ich ja schon seit Jahrzehnten in der Kurpfalz lebe.

Als ich das Buch „mein Schwaben“ zum ersten Mal in der Hand hielt überlegte ich, wie Klink eigentlich „Schwaben“ definiert und wie ich es definieren würde. Für mich entspricht „Schwaben“, also der schwäbisch-alemannische (dialektale) Sprachraum im weitesten Sinne der Region Mitteleuropas in dem der „Wurstsalat“ zu Hause ist, wobei der Wurstsalat im Elsass nicht „Wurstsalat“ heißt, sondern als „salade de cervelas“ oder „salade alsacienne de cervelas[10]“ bezeichnet wird[11]. Letztlich entspricht diese, meine „géographie grastronomique imaginaire[12],[13]“ angelehnte kognitive Definition „Schwabens“ auch der von Klink gewählten räumlichen Abgrenzung Schwabens, die letztlich wie auch die erste Vorsatzkarte in Klinks Buch zeigt, sich an den Grenzen des mittelalterlichen Herzogtum Schwaben orientiert – was Klink dann auch im Prolog seines Buches in Worten darstellt. Das ist schon eine besondere räumliche Abgrenzung, wenn man bedenkt, dass man wohl im alltäglichen Sprachgebrauch, Schwaben mit Württemberg oder gar dem Königreich Württemberg gleichsetzt, – was wohlgemerkt historisch falsch ist. Klink ist mit der geographischen Abgrenzung „Schwabens“ historisch auf der sicheren Seite.  Wobei in diesem Sinne, das Blutgericht zu Cannstadt, doch auch irgendwie zur Sprachen kommen müsste, aber vielleicht ist es im Buch auch erwähnt und ich habe es auch „überlesen“. Und soweit man Vincent Klinks Ansatz folgt, oder eben auch der „Gastrogeographie“ des Wurstsalates bzw. der Salade de Cervelas, dann wird die badisch-württembergische Landesgrenze die ja früher auch über den Fohrenbühl verlief zur Makulatur. Das Badenerlied ist ja auch erheblich jünger als das Volkslied „uf der schwäbischen Eisenbahnen“. Und selbstverständlich zählen dann auch die nördlichen Kantone der Schweiz zu diesem Schwaben, auch wenn Klinks Buch da keinen Fuß setzt.

Weiterhin überlegte ich mir, was für mich eigentliche „Schwäbische Speisen und Gerichte[14]“ sind, – und befragte dazu auch noch meine Geschwister. Abgesehen vom „Wurstsalat“ fielen mir da ein, – schwäbischer Kartoffelsalat, Maultaschen, Flädle und Flädlesuppe, saure Nierle und Bratkartoffeln[15], Linsen mit Spätzle, der schwäbische Zwiebelrostbraten, die „Seelen“ Oberschwabens und die fast vergessenen weißen Kalbsbratwürste, die als  „Nackerten“ in Oberschwaben bezeichnet wurden[16], – die im Hause meiner Großeltern im oberschwäbischen Saulgau in den 1960 und frühen 1970 Jahren als besondere Delikatesse galten. Und nicht zur vergessen, der Träubleskuchen[17] und die „Springerle“. Vielleicht sollte man auch hinzufügen dass die Heidelbeerkuchen und auch die Zwetschgenkuchen, die ich als Kind in Raumschaft Schramberg immer gern gegessen habe, – doch sehr der elssäsischen „Tarte aux Myrtille[18] , [19]  bzw. „Tarte aux Quetsch[20] geähnelt haben. In Klinks Buch findet man zu einigen dieser schwäbischen Speisen, aber längst nicht zu allen,  Kochrezepte zum „selber kochen“.

Klinks Buch ist eine interessante Mischung, aus rezenter Landeskunde, historischer Geographie und Gastrogeographie eines Landstriches des südwestlichen Mitteleuropas welches man „Schwaben“ nennt. Man könnte es auch als moderne  Landeskunde Schwabens ohne wissenschaftlichen Anspruch bezeichnen. Ein Geographiebuch der schwäbischen Landschaften mit kulinarischem Hintergrund. Ja, hier und da habe Neues lernen können, obwohl ich mich ja auch beruflich mit den Südwestdeutschen Landschaften, besonders mit dem rezenten Landschaftswandel befasse,  und auch in der universitären Lehre den Zusammenhang von Naturraumausstattung und regionaler Küche immer wieder thematisiere.

Dass „Sebastian Blau“ das Pseudonym von Josef Eberle  dem späteren Herausgeber der Stuttgarter Zeitung war, unter dem er während der Naziherrschaft schwäbische Gedichte herausgab, das wusste ich. Aber beispielsweise hatte ich nie  von der Widerstandsgruppe „Schlotterbeck“ in Stuttgart während der Zeit des Nationalsozialismus gehört. Else Himmelheber und Friedrich Schlotterbeck widmet Klink auch ein paar Seiten in seinem Buch. Man entdeckt mit Wilhelm Rieber und seinen Tourbillons  einen „horloger independant“ wie man ihn doch eher irgendwo in Genf, oder im Schweizer Jura in der Vallée de Joux oder in der Umgebung von La-Chaux-de-Fonds vermutet hätte, aber doch nicht in Tiefenbronn am Rande des Nordschwarzwaldes im Enzkreis. Ja und in diesem Buch lässt sich noch weit mehr entdecken, – oder Altbekanntes wiederentdecken, wie zum Beispiel „Die Liebe höret nimmer auf[21]und begegnet  Katharina Pawlowna  der Königin von Würrtemberg und ihrem untreuen Gemahl Wilhelm. Auch Friedrich Hölderlin, sowie die anderen Dichter der schwäbischen Dichterschule wie z.B. Justinus Kerner, Eduard Mörike werden nicht vergessen. Besonders gefreut hat mich in dem Buch das Gedicht „Hälfte des Lebens[22] von Hölderlin wiederzufinden. Ich halte es für eines der schönsten Gedichte der deutschen Sprache.

Letztlich hat mir das Buch sehr gut gefallen. Natürlich hat Vincent Klink eine sehr subjektive Auswahl getroffen, aber das halte ich für normal. Schwäbisch Gmünd und die Ostalb schildert Klink so anschaulich, dass ich mir bei der Lektüre dachte, da müsste ich doch mal hinfahren, da ich die Gegend nur sehr oberflächlich kenne. Gefehlt haben mir etwas die Wilhelma, der Modellbahnhersteller Märklin[23] aus Göppingen, die schwäbischen Lokomotivbauer von der Maschinenfabrik Esslingen und das Volkslied  „uf der schwäbische Eisenbahnen“, die Schwarzwälder Uhrenindustrie, das sind alles Begriffe die ich persönlich mit „Schwaben“ verbinde. In die Wilhelma machte ich als kleiner Bub meine erste größere Reise, – eine Tagesreise Ende der 1960 Jahre von Schramberg in die Landeshauptstadt Stuttgart, – den Onkel Ewald der mit komplizierten Beinbruch in einem Stuttgarter Krankenhaus lag, – danach die Wilhelma entdeckt, – und auch die gelben Straßenbahnen, sowie die Zacke gesehen habe. Der Nachmittag in der Wilhelma war ein unvergessliches Erlebnis für den kleinen Buben, der ich damals war. Und ich bin danach immer wieder gekommen, – auch als Erwachsener, habe sogar während meiner Assistentenzeit in Mannheim dorthin botanische Exkursion durchgeführt, – denn das ist weniger bekannt, – die Wilhelma ist auch ein sehenswerter botanischer Garten.

Der vorliegende Text ist keine Buchkritik, sondern eine Art persönlicher Lesenotizen und Gedanken, die mir bei der Lektüre des Buches „Mein Schwaben“ von Vincent Klink so durch den Kopf gingen[24]. Wer eine solche Buchrezension sucht findet sie beispielsweise hier „Vincent Klink, Mein Schwaben. Leben und Speisen im Ländle des Eigensinns“ im Stuttgart Blog von Heiner Wittmann.

Abschließend noch ein Punkt, der mich besonders berührt hat. Das Buch von Klinik ist natürlich hier und da eine Beschreibung der Wirtshaus bzw. Gastwirtschaftskultur „Schwabens“ – bzw. dem was davon heute noch übrig geblieben ist[25]. Dementsprechend gibt es auch eine subjektive Liste von empfehlenswerten Gasthäusern aus dem Schwabenland die Klink an den Schluss seines Buches gestellt hat.

In meinen Kindheitstagen gingen wir mit den Eltern fast an jedem Sonntag irgendwo ins Gasthaus essen. In Schramberg, wo ich aufwuchs, – hatte das sonntägliche Essen in der „Wirtschaft“, vielleicht auch etwas mit der Uhrenindustrie[26] zu tun,in der auch viele Frauen arbeiteten. Den arbeitenden Frauen in der Fabrik bzw. der Heimarbeit, wollten die Familien soweit sie es sich leisten konnten, einen „Koch“ und „Arbeitsfreien“ Sonntag schenken. Bei meinen Eltern traf das ja sowieso nicht zu, denn sie waren ja gar nicht beim „Junghans“, sondern im öffentlichen Dienst beschäftigt[27]. Aber das sonntägliche Essen gehen, das kannte mein Vater auch von seinem Zuhause im Oberschwäbischen Saulgau. Da ging man halt sonntags ins „Gasthaus“. Meistens nach dem Kirchgang. Und dann gab es auch noch die Stammtische abends, an den dann auch „gevespert[28]“ wurde. So nahmen meine Eltern jahrzehntelange am Französischlehrerstammtisch des Gymnasium Schramberg teil. Diese wurde u.a. von Irmgard Ströhle[29], unsere Familien waren befreundet – ja wir hatten quasi gemeinsam im Neubeugebiet Eckenhof im Lärchenweg gebaut[30], organisiert. Diese Französischlehrerstammtische fanden dann entweder im Schwanen auf der badischen Seite der Passhöhe Fohrenbühl, – oder im Schraivogel in der Talstadt in etwas unregelmäßigen Abständen statt. Essen gingen meine Eltern oft in Lauterbach, – ins Gedächtnishaus Fohrenbühl dem „Turm“ zum Mutschler, – manchmal auch in den Adler auf dem Fohrenbühl – der württembergischen Seite des Fohrenbühl, manchmal in den „Hasen“ im Sulzbachtal. Oft gingen sie auch mit Freunden in die Hirschbrauerei in Flözlingen, die ja Jahrzehnte lang als kleinste gewerbliche Brauerei Deutschland galt. Hier war dann oft das Ehepaar Harald und Gabi Frommer mit dabei, auch ein Lehrerehepaar vom Gymnasium mit denen meine Eltern auch befreundet waren und die darüber hinaus noch ähnliche politische Ansichten wie meine Eltern teilten. Und natürlich gab es noch andere Gastwirtschaften die mit anderen Freunden oder auch mit den Genossen der Schramberger SPD, aber die Gasthäuser der Schramberger SPD das wäre dann doch noch ein eigenes Kapitel wert, regelmäßig besucht wurden, denn Gasthäuser gab es damals rund um Schramberg wie in großen Teilen des Schwabenlandes noch mehr als genug. Diese kleine „Wirtschaftswelt“ findet man auch im Buch von Vincent Klink zwischen den Zeilen wieder. Und was die „historische Wirtschaftsgeographie“ der Raumschaft Schramberg betrifft, – da könnte man ein ganzes Buch füllen, – ein Buch was man erst noch schreiben müsste[31]. Tatsächlich gibt es solch eine „Wirtschaftgeographie“ für das kleine oberschwäbische Saulgau,  man findet in dem Buch „ Saulgau Stadt und Landschaft“ (Eck & Höhfeld 1989) im Kapitel „kleine „ Wirtschafts“ – Geographie“ (S.162-192) tatsächlich ein Verzeichnis der Gastwirtschaften incl. historische Kurzbiographie der einzelnen Lokalitäten.

Manche dieser Wirtschaften aus meinen Kindheitstagen gibt es heute noch[32], manche sind auch verschwunden, und das gilt sowohl für Bad Saulgau als auch die Raumschaft Schramberg in der ich aufgewachsen bin. In den Adler auf dem Fohrenbühl gehe ich selbst immer noch sehr gerne, ein oder zweimal im Jahr soweit es sich einrichten lässt. Der Adler ist schon eine regelrechte Institution auf dem Fohrenbühl, – seit 1780 wird dieser Gasthof von der Familie Moosmann geführt. Irgendwann sollte ich doch etwas mehr in diesem Blog über den Adler schreiben. Wie Vincent Klink so schön schreibt „Es gibt sie aber noch, die guten Gasthäuser, man muss sie nur finden“ (Klink, 2024, 309)[33].

Als ich das Buch „Mein Schwaben“ las ging es mir gesundheitlich nicht sehr gut, – aber vielleicht waren es auch diese kleinen Ausflüge in die Welt der ländlichen Gasthäuser Schwabens die man hier und da verstreut über das ganz Buche findet, die mich persönlich so angesprochen haben. Ja, ich muss es gestehen, die Lektüre des Buches „Mein Schwaben“ von Vincent Klink, die hat mir richtig gut getan! Wie die „Flädlesuppe“ aus meinen Kindheitstagen …..

Bibliographie & Quellen:

Cohen, Ute (2024): Der Geschmack der Freiheit. Eine Geschichte der Kulinarik. Ditzingen, Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, ISBN 978-3-15-962278-1

Eck, Helmut; Höhfeld, Volker (Hrsg.)(1989): Saulgau. Stadt und Landschaft. Ein geographischer Führer und die Stadt und ihre Umgebung. Saulgau, © Gebr. Edel, Gmbh & Co. KG, Druck und Verlag, D-7968 Saulgau, ISBN 3-9801892-0-1

Evangelische Kirchengemeinde Buchenberg (Hrsg)(2001): Todt-Druck Villingen, 2001/2002 im Auftrag der evangelischen Kirchengemeinde Buchenberg. ISBN 3-927677-32-9

Gaudry, François-Régis (2017): On va deguster la France. François-Régis Gaudry & ses amis presentent.  Paris, © Hachette livre (Departement Marabout) 2017, ISBN 978-2-501-11672-5

Klink, Vincent (2024): Mein Schwaben. Leben und Speisen im Ländle des Eigensinns. Mit zahlreichen handkolorierten Fotos des Autors. Hamburg, Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg Dezember 2024, ISBN 978-3-498-00310-4

Kohlmann Dieter (2024):  Die Kindheitserinnerungen der Anna Braitsch – Zur Geschichte der Gastwirtschaft „Hammerhäusle“ im Stadtteil Höfle (1). In : D’Kräz, Beiträge zur Geschichte der Stadt und Raumschaft Schramberg 2024, 44, 5- 19.

Neff, Christophe (2023): Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band III, Bad Saulgau Mai 2023, S. 252 – 259. (Ein PDF – Sonderdruck des Buchbeitrages kann in der KITOPEN Bibliothek heruntergeladen werden DOI: 10.5445/IR/1000159193)

Pitte, Jean – Robert (2017). Atlas Gastronomique de la France. Paris, Armand Colin, ISBN 978-2-200-61480-5.

Stähle, Gernot (2022): Junghans. Uhren – Federn – Zünder ein Kaleidoskop. Schramberg, 2022         © 2022 Große Kreisstadt Schramberg, erste Auflage. Schriftenreihe des Stadtarchivs und Stadtmuseums Schramberg Band 32, ISBN 978-3-9821496-3-9

Walser, Martin (2021): Ein springender Brunnen. Roman. 6. Auflage 2021, Erste Auflage 2000 suhrkamp Taschenbuch 3100, © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1998. ISBN 978-3-518-39600-1

Bilder und Photographien: Scan des Buchcover von „Mein Schwaben“, Flädlesuppe © Christophe Neff 08.06.2024

Christophe Neff, Grünstadt Januar 2025

P.S.: Den ersten Entwurf dieses Textes verfasste ich am 23.01.2025, also genau am 80 Todestag von Eugen Bolz, dem letzten Staatspräsidenten des Volksstaates Württemberg, der am 23.01.1945 in Berlin Plötzensee von den Nazis hingerichtet wurde.


[1] Siehe: Supp, Barbara „Alpträume einer Küchenmagd“, Der Spiegel, 42, 12.10.2024, S. 68 – 71. In digitaler Version auch unter „Wie geht es wirklich zu in einer Sterneküche? Eine Woche als Handlangerin bei Vincent Klink in der Stuttgarter »Wielandshöhe« – zwischen Fischgerippe und der Suche nach dem perfekten Gemüsewürfel“ im Spiegel Weekender lesbar.

[2] Siehe u.a. auch « Cahiers de maladie (Cancer de la prostate) » und « Wintersonnenwende 2024 »

[3] „Leben im Dorf – Schmackhaftes und Liebenswertes aus Buchenberg“ so heißt eine durchaus lesenswerte  kulinarisch-historische Dorfchronik dieses inzwischen zu „Köngigsfeld“ gehörenden Schwarzwalddorfes welches 2001 durch die Evangelische Kirchengemeinde Buchenberg herausgegeben wurde.

[4] Der Weiler Mönchhof gehört auch zu Buchenberg, dort befindet sich auch ein gleichnamiger Gasthof, der Mönchhof. Der eigentliche Möchhof geht wahrscheinlich ursprünglich auf eine Siedlung der Klosters St. Georgen zurück, deren Spuren sich bis ins 11 Jahrhundert  verfolgen lassen. Im gleichnamigen Gasthaus kehrten meine Eltern oft mit Freunden und mit uns Kindern in den 1970 Jahren nach dem Pilzesammeln ein.

[5] Zur Geschichte des Mönchhofes und der St. Martin Kapelle siehe auch die reichbebilderte Internetseite  „Krippe in der Mönchhof-Kapelle“  der Griesshaber – Family aus Tennenbronn. Erstaunlich ist das es keine Wikipediaseite zum Weiler Mönchhof gibt.

[6] Das mit dem „Schwäbisch“ habe ich schon im letzten Sommer  auf Französisch im Blogbeitrag „Notice de lecture « Simone Morgenthaler : Sur la route avec Tante Jeanne »“ beschrieben.

[7] Höfen, im Sinne von landwirtschaftlichen Anwesen, also Bauernhöfen.

[8] Interessante geographisch-landeskundliche Hinweise zur Hutneck findet man auf Internet-Seite „Hutneck – der Stadtteil von Schramberg“ und zwar hier unter: „Hutneck und deren Geschichte“.

[9] Zu meinen Kindheitserinnerungen aus Bad Saulgau siehe das Buchkapitel „Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg (Neff, C. 2023) „ sowie in diesem Blog u.a. „„Net schon wieder Ulm“ : Über die Buchpräsentation „Aus dem Grau der Kriegszeit – Geschichten hinter der Geschichte“ in der Bad Saulgauer Stadthalle am Donnerstag den 25.5.2023“  und  „Saulgau Oberschwaben Oktober 2022: Photos, Buchlektüren und Kindheitserinnerungen

[10] In der Wikipedia.fr unter „Salade alsacienne“ zu finden.

[11] Laut dem „Atlas gastronomique de la France“ als  „Salade de Cervelas au Gruyere“ (Pitte, J.-R.2017, Karte S. 97) bezeichnet, was wohl weitestgehend dem im Schwarzwald als « Straßburger Wurstsalat » Gericht entspricht. Wobei das Verbreitungszentrum der „Salade de Cervelas au Gruyere“ sich bei Pitte in den Hochvogesen befindet.

[12] Eine sehr schöne rezente „géographie gastronomique“  Frankreichs ist das Buch „On va deguster la France“  (Gaudry 2017). Solch eine „géographie gastronomique“ von Deutschland wäre auch ein schönes Buchprojekt.

[13] Eine deutschsprachige historische Geographie der „Kulinarik“ bietet das Buch von Ute Cohen „Der Geschmack der Freiheit – eine Geschichte der Kulinarik“ – welche die historisch-geographische Entwicklung der Kulinarik beidseits des Rheines in Frankreich und Deutschland und darüberhinaus durchleuchtet

[14] Es gibt ja bei Wikipedia ja tatsächlich eine Seite namens „Schwäbische Küche“, die ich bei der Korrektur dieses Textentwurfes dieses Blogbeitrag entdeckte.

[15] „Sauere Nierle“ findet man an Fasnacht noch relativ regelmäßig auf Speisekarten der „Wirtschaften“ in der Raumschaft Schramberg. Aber ansonsten, sind sie doch sehr selten auf Speisekarten in Südwestdeutschland zu finden, hingegen findet man „Rognons“ in Frankreich schon etwas öfter.  Vor kurzem konnte jedoch im „Ochs & Schwan“ in Kirchheim an der Weinstraße vorzügliche Kalbsnieren in Cognacsrahm genießen, – hier ein Link zur Winterkarte 24/25.

[16] In Wikipedia.de werden dies Würste als „Wollwürste“ bezeichnet.

[17] Träubleskuchen = Johannesbeerkuchen.

[18] Tarte aux Myrtille = auch Tarte aux Brimbelles genannt, Heidelbeertarte.

[19] Einen solchen Heidelbeerkuchen, der sehr der elsässichen „Tarte aux Myrtilles“ ähnelt, mit selbstgepflückten Heidelbeeren vom Fohrenbühl  gibt es im mehrfach in diesem Text erwähnten Adler auf dem Fohrenbühl.

[20] Tarte aux Quetches = Zwetschgentarte

[21] Siehe auch „„Die Liebe höret nimmer auf“ – découvrir les paysages sonores du „ Royaume du Wurtemberg“ avec Katharina Eickhoff

[22] Siehe auch den Beitrag „Wintersonnenwende 2024“ – in welchem der Verfasser des Paysagesblog „Hälfte des Lebens“ rezitiert (im Tondokument).

[23] Zu Märklin siehe u.a. auch „Erinnerungen an die „märklinModerne““ und „Quel surprise – la 141 R de Märklin“ .

[24] Ähnlich wie beispielsweise die Blogbeiträge  „Der Neckar – literarische Spaziergänge mit Jan Bürger„, „Erinnerungen und Gedankenfetzen zu Martin Walsers autobiographischem Roman „ein springender Brunnen„“ , „Bemerkungen zur Biographie „der Walder vom Schwarzwald, Erinnerungen an den rebellischen Förster Walter Trefz“ von Annette Maria Rieger„, „Notice de lecture « Simone Morgenthaler : Sur la route avec Tante Jeanne »“.

[25] Historisch – literarisch ist die schwäbische Gastwirtschaftskultur in Martin Walser’s autobiographischen Roman „ein springender Brunnen“ beschrieben worden. Persönliche Lesenotizen des Verfassers des Paysagesblog zum Roman finden sich in „Erinnerungen  und Gedankenfetzen zu Martin Walsers autobiographischem Roman „ein springender Brunnen““.

[26] Eine sehr kompakte Darstellung der Geschichte findet man u.a. in dem Buch „Junghans. Uhren – Federn – Zünder ein Kaleidoskop“ von Gernot Stähle (2022). Eine Kurzrezension dieses Buches kann man hier in diesem Blog im Artikel „Blognotiz 24.11.2024: Worms im Nebelmeer“   finden.

[27] Mein Vater unterrichte Französisch, Geschichte und Politik am Gymnasium Schramberg. Meine Mutter leitete einen Kinderhort in Schramberg, – und war daneben sehr in der SPD sowohl landespolitisch als auch kommunalpolitisch aktiv.

[28] Schwäbisch „Vespern gehen“, – Abends in die Gastwirtschaft essen  gehen,-  und meist einen Wurstsalat, Bratwürste oder eine kalte Wurst bzw. Speckplatte verzehren.

[29] Irmgard Ströhle unterrichte Französisch und Geographie am Gymnasium Schramberg. Sie absolvierte zusammen mit meinem Vater das Referendariat am Seminar Rottweil. Sie war mit Karl Ströhle verheiratet, der am selbigen Gymnasium Mathematik und Physik unterrichtete. Ihn hatte es sozusagen von Laichingen von der „Alb ra“ nach Schramberg in den Schwarzwald geweht.

[30] Siehe u.a. auch „Erinnerungen an die „märklinModerne“.

[31] Zur Bedeutung der Wirtschaft bzw. des Gasthauses für die Geschichte der Stadt Schramberg siehe u.a. auch Kohlmann Dieter (2024):  Die Kindheitserinnerungen der Anna Braitsch – Zur Geschichte der Gastwirtschaft „Hammerhäusle“ im Stadtteil Höfle (1). In : D’Kräz, 44, 5- 19.

[32] Lesenswerter Kommentar von Barbara Supp zur Bundestagswahl 2025 im SPON bezüglich des  „Verschwinden“ der Infrastruktur im ländlichen Raum, wozu auch die Gastwirtschaft gehört, „Wahlkampf und der ländliche Raum – Warum interessiert ihr euch nicht für die Provinz?

[33] Hierzu auch „Eduardo“ in Vincents Klinks Tagebuch.

Wintersonnenwende 2024

Blick auf den Windpark Dirmstein-Groß-Kleinniedesheim-Heuchelheim 22.12.2024

Gestern war der kürzeste Tag des Jahres, die Wintersonnenwende. Von nun an werden die Tage wieder länger und die Nächte kürzer. Es beginnt auch die Zeit der Raunächte. Urs Faes hat ein schönes Buch über die Raunächte im Kinzigtal verfasst, welches ich schon vor Jahren gelesen habe. Das Buch hatte mir damals gut gefallen, weil ich selbst biographische Verwurzelungen und Erinnerungen im Kinzigtal habe, und weil Faes da eine schöne Geschichte geschrieben hatte[1]. Urs Faes hat auch ein beeindruckendes Buch über seine Prostatakrebserkrankung und die daraus folgende Strahlentherapie verfasst. Halt auf Verlangen heißt dieses Fahrtenbuch durch die Erinnerung an frühere Lebenswelten, Kindheit, Jugend, Liebe, Alter, Krebs und Strahlentherapie[2]. Ich habe dieses Buch in diesem Herbst gelesen. Ich leide an der gleichen Krankheit wie Urs Faes , – ich nenne die Krankheit oft „la maladie de François Mitterrand – die Krankheit François Mitterrand[3]“  – aber im deutschsprachigen Raum können wohl nur Mitterrandexperten, Onkologen und Urologen damit etwas anfangen. Tatsächlich ist mir die Krankheit zum ersten Mal über den Weg gelaufen als man in Frankreich plötzlich über die zu Anfangs rätselhafte Krankheit des alten Präsidenten öffentlich diskutierte. Damals war ich noch ein junger Mann. Das mich dieser Krebs irgendwann selbst auch tangieren könnte, das konnte ich mir damals nicht vorstellen. Inzwischen habe ich die sechzig überschritten, – wobei ich die Diagnose schon mit neunundfünfzig Jahren erhielt. Laut dem „Leitlinien Programm Onkologie – Prostatakarzinom“ beträgt das „Mittel des Erkrankungsalters in Deutschland 72 Jahre“ (S.23)[4]. Ich gehe wahrscheinlich schon seit über zwanzig Jahren zum Urologen zur Prostatakrebsfrüherkennung. So wurde das Karzinom dann auch im Winter/Frühjahr 2024 entdeckt. Die Prognose ist an für sich gut, aber eine gute Prognose, verhindert auch keine Komplikationen. Strahlentherapie wie sie Urs Faes schildert, davon blieb ich erst mal verschont. Wie schon in der „Blognotice 20.10.2024 : Port Leucate octobre 2024“ beschrieben unterzog ich mich im letzten Sommer einer radikalen Prostatektomie. Sehr selten kann es zu nach einer radikalen Prostatektomie zu postoperativen Komplikation kommen. Das habe ich in den letzten Wochen erlebt.  Mein Büro am IFGG – KIT habe ich seit Anfang November nicht mehr gesehen. Stationäre Aufenthalte am Klinikum Worms, wechselten sich  mit Phasen im Krankenzimmer zuhause in Grünstadt ab. Zuhause in Grünstadt kann ich von unserem Balkon auf die Windräder in der Ferne am Horizont schauen. Ich habe die Windräder auch schon vor meiner Krankheit aus den verschiedenstem Blickwinkeln photographiert. Es handelt sich um die Windräder des „Windpark Dirmstein-Groß-/Kleinniedesheim-Heuchelheim“ die sich rund um die A 61 gruppieren. Es sind richtige Landschaftmarker geworden, man kann die Schatten der Windräder auch auf Googlearth erkennen. Das langsame Drehen der Räder im Wind, – erinnert mich manchmal an die klirrenden Fahnen in Hölderlins Gedicht „Hälfte des Lebens“. Seit ein paar Tagen habe ich das Gefühl, dass es wieder aufwärts geht. Ich denke auch an die Weihnachtszeit meiner Kindheit, aber das werde ich irgendwann in einem eigenen Beitrag beschreiben.

Ich stehe am offenen Fenster und beobachte das auf und ab der „Windflügel“ in der Ferne und rezitiere Hölderlins „Hälfte des Lebens“[5]. Ich halte es für einer der schönsten Gedichte der deutschen Sprache. Aber wer kennt heute noch Hölderlin ?

Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen. (Friedrich Hölderlin 1804)

Bibliographie:

Faes, Urs (2017): Halt auf Verlangen. Ein Fahrtenbuch. Berlin, 2017       eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2018. Der vorliegende Text folgt der  Ausgabe des suhrkamp Taschenbuchs 4890. © dieser Ausgabe Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2017, ISBN 978-3-518-75089-6

Faes, Urs: (2018): Raunächte. Erzählung. Mit Zeichnungen von Nanne Meyer. Berlin,© Insel Verlag Berlin 2018, ISBN 978-3-458-19452-1

Photo : © Christophe Neff, 22.12.2024

Christophe Neff, Grünstadt im Dezember 2024 (verfasst am 22.12.2024, veröffentlich 23.12.2024)


[1] Eine Rezension des Buches Raunächte von Urs Faes kann man hier (NZZ) finden.

[2] Eine Rezension des Buches „Halt auf Verlangen“ von Urs Faes kann man hier (NZZ) finden.

[3] Mehr zur Krankheit « Mitterrands » findet sich auch in den folgenden Blogbeiträgen « Blognotice 15.12.2024 », «Blognotiz 24.11.2024: Worms im Nebelmeer » « Blognotice 20.10.2024 : Port Leucate octobre 2024 », « Notice de lecture « Simone Morgenthaler : Sur la route avec Tante Jeanne » » , « Blognotice 18.08.2024: de retour à Grünstadt – et les martinets se sont déjà envolés vers le Sud », «Bemerkungen zur Biographie „der Walder vom Schwarzwald, Erinnerungen an den rebellischen Förster Walter Trefz“ von Annette Maria Rieger » , « Erinnerungen  und Gedankenfetzen zu Martin Walsers autobiographischem Roman „ein springender Brunnen“ », « Blognotice 06.07.2024: veille du deuxième tour des élections législatives 2024 » « Blognotice 02.06.2024 : « La promesse » d’Anne Lauvergeon »,

[4] Siehe https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Prostatatkarzinom/Version_6/LL_Prostatakarzinom_Langversion_6.0.pdf

[5] Siehe auch dieses Tondokument.

Erinnerungen  und Gedankenfetzen zu Martin Walsers autobiographischem Roman „ein springender Brunnen“

Es ist Wochenende, Samstagmorgen im Cafe Steidler an der unteren Steige in der Talstadt Schramberg. Ruhe im Himmel, keine Düsenjäger die über den Schwarzwald jaulen, keine Starfighter die über das Heckengäu ziehen, keine Mirage die im Konturenflug durch’s Kinzigtal und dann durch das enge Schiltachtal braust, über dem Schramberger Talkessel hochzieht, über dem Sulgen weiter über die Muschelkalkhügel des Heckengäu gen Osten fliegt, um die imaginären roten Panzerkolonnen, die an den Rhein, die französische Grenze drängen, noch vor dem Neckar zum Stehen zu bringen. Wir sind in der Hochzeit des kalten Krieges, – und kurz nach Elf  treffen wir uns im Steidler um die Welt zu diskutieren.

Was sagt der letzte Spiegel, was sagt vor allem die Zeit, – und im Steidler so wie auch im Bruckbeck und im Cafe Brantner konnte man auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung lesen. Ich habe Freunde, die wurden damals FAZ Leser, – ich wurde es nicht. Und der Walser hat gesagt, – und der Walser hat geschrieben, und der Walser meint, und der Augstein sagt …..

Wir, das waren ein paar Freunde aus der Oberstufe, – manche hatten auch schon ihr Abi in der Tasche, waren bei Bund – den man damals den Barras nannte, – Zivis – also Zivildienstleistende gab es kaum, denn damals musste man noch ein aufwendiges Prüfungsverfahren die sogenannte Gewissensprüfung durchlaufen und das hat sowieso kaum jemand geschafft …. und ein paar machten auch schon ein Volontariat beim Boten (Schwarzwälder Bote), dem Tagblatt (schwäbische Zeitung), der Südwestpresse ….

Daran musste ich denken, als ich vor etwas über einem Jahr vom Tod des Martin Walser erfuhr. Wir waren mitten im kalten Krieg, Anfang der 1980 Jahre, – ich war damals noch Oberstufenschüler und besuchte das Gymnasium in Schramberg, an dem ich 1984 das Abitur ablegte.  Walser wurde viel gelesen, – und war, in den überregionalen Medien mit seiner gewichtigen Stimme, die viel zu sagen hatte damals in der westdeutschen Nachkriegszeit sehr präsent. Als ich von Martin  Walsers Tod erfuhr, musste ich an den kalten Krieg denken – die Düsenjäger über Schwarzwald, Alb und Bodensee, – und unsere „Samstagsitzungen“ im Cafe Steidler an der Steige. Damals war ja noch an jedem zweiten Samstag bis kurz nach Elf Schule. Letztes Jahr als ich vom Tod Walser erfuhr, wollte ich erst etwas für paysages schreiben, aber dann ist es im Alltagstrubel etwas untergegangen, das Schreiben wurde vergessen, und dennoch bleibt die Erinnerung an Walser als meinungsstarken Chronist der Nachkriegsjahre.  

Stattdessen kaufte ich mir sein letztes Buch mit den Illustrationen von Cornelia Schleime – „das Traumbuch Postkarten aus dem Schlaf“ und die Taschenbuchversion von „ein springender Brunnen“. Ich war doch sehr erstaunt, dass es den springenden Brunnen nicht als Epub gibt, – denn ich versuche seit dem ich einen Tolino besitze[1], – möglichst die meisten meiner  Buchanschaffung in Form eines ePub zu tätigen, da ich gar nicht mehr weiß, wohin mit allen meinen Büchern.  Wobei die Lektüre des springenden Brunnen auch auf sich warten ließ. Ich war in meinen jungen Jahren bestimmt kein Martin Walser Fan, – sowie beispielsweise mein Vater, der bis zu seinem frühen Tod 1992 wohl alle bis dahin erschienenen Werke von Walser in der Reihe edition suhrkamp in seinem Arbeitszimmer im Lärchenweg stehen hatte. Mein Vater hat wahrscheinlich einen Großteil dieser Bücher gelesen, – nicht nur gelesen, sondern regelrecht studiert, wie ich viele Jahre später feststellen musste als ich ein paar dieser Walser Werke in die Hand nahm, und die handschriftlichen Anmerkungen meines Vaters in den Büchern entdeckte. Ich selbst hatte bis zum Tod Martin Walsers im letzten Jahr nur wenig vom ihm gelesen, – „Die Gallistl’sche Krankheit“, „Ein fliehendes Pferd“, „Über Deutschland reden“, „Finks Krieg“ mehr überflogen als gelesen. Von diesen überflogenen Büchern hat sich nachhaltig nur Finks Krieg in der Erinnerung festgesetzt, denn handelte sich ja um die literarische Verarbeitung der Affäre Gauland. Und Alexander Gauland sollte ja später noch als Gründungmitglied der Wahlalternative 2013 aus der dann die AFD entstand werden, richtig berühmt werden. Richtig „auf der Zeile“ gelesen, – habe ich eigentlich nur „Die Verteidigung der Kindheit“, die Erinnerung an diesen Roman von Walser ist mir positiv im Gedächtnis verblieben.

Zeit für die Lektüre des springenden Brunnen habe ich nun Anfang Juli gefunden. Wie schon in zwei vorhergehenden auf Französisch verfassten Blogbeiträgen beschrieben, leide ich an der gleichen Krankheit  wie einst François Mitterrand[2] und musste in diesem Zusammenhang Anfang Juni einen Klinikaufenthalt hinter mich bringen. Zeit zum Lesen gab es da natürlich genug – und hier habe ich mich dann auch der Lektüre des autobiographischen Romans „ein springender Brunnen“ widmen können. Ja, ich muss es gleich zu Anfangs gestehen, das Buch hat mir außerordentlich gut gefallen, wohlwissend, dass das Buch bei Erscheinen 1998 durchaus heftig kritisiert wurde.

Die Lektüre Buches tauchte mich in eine vergangene Welt ein, – deren letzte Jahre ich selbst Ende der 1960 und Anfang der 1970 siebziger Jahre als Kind noch erleben durfte. Die Welt des katholischen Oberschwabens wie man sie auch im Werk von Arnold Stadler wiederfindet. Ich habe mich beim Schreiben des Kapitels „Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg“ für das von Conny Scheck und Maria Gelder  herausgegebene Zeitzeugen Buch „Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte“ über die Zeit des zweiten Weltkrieges in Bad Saulgau intensiv mit dieser Welt auseinander gesetzt. So intensiv, dass ich parallel dazu mehrere Blogbeiträge darüber schrieb[3] .  Eigene Erinnerungen kreuzen sich mit Örtlichkeiten im Buch Walsers wie beispielsweise hier „Sie würde sich hinausstürzen aus diesem Leben. Ins tiefste Kloster hinein. Nach Sießen zu den Franziskanerinnen. Sie musste morgen früh, vor dem Kommunizieren, noch einmal beichten (Walser, M. 2021,  318)“. Mein Urgroßvater Wilhelm Schramm hat während der NS-Herrschaft, obwohl selbst NSDAP Mitglied, die Flucht der Franziskanerinnen in die Schweiz mit organisiert[4]. Abgesehen davon war das Kloster Sießen ein wichtiger Dreh und Angelpunkt im Alltagsleben meiner Saulgauer Verwandtschaft, insbesondere für meine Großeltern.

Oder das Kohleausfahren in Wasserburg von dem Walser berichtet. Kenne ich auch noch. Natürlich nicht mit dem Handwagen wie bei Walser sondern mit dem Lastwagen. Mein Opa  Anton Neff war Geschäftsführer der Wilhelm Schramm KG, einer Möbelspedition die ursprünglich aus einer Bahnspedition hervorging, – und die noch in den 1970 Jahren die Kohlen und das Heizöl, welches rund um Saulgau vertrieben wurde, per Bahn im „Wagenladungsverkehr“ erhielt. Wenn wir die Großeltern in Saulgau besuchten habe ich viele Male meinen Onkel Ewald, der ja später Geschäftsführer dieser Spedition wurde, beim Kohleausfahren begleitet[5]. Kartoffeln, Obst und Wein wurde auch gehandelt, aber das war wohl mehr ein Hobby meines Opas, das lief so nebenher.

Wasserburg gehört zu Bayern, und deshalb sind die im springenden Brunnen romanhaften Lebenserinnerungen nach Bayern, dem Allgäu und Tirol ausgerichtet. Aber diese politischen Landesgrenzen waren ja im katholischen Schwaben weniger relevant, –  die Donaustädte, Oberschwaben, das katholisch bayerische Schwaben, Tirol, Nieder und Oberbayern – die Klöster und Priesterseminare waren die Wegmarken dieser vergangen Welt.

So führte der Weg des Joseph[6], einer der vielen Brüder meines Großvaters, mit dem man mich im Familienkreise in meiner Kindheit oft verglich, von Munderkingen über Gars am Inn nach Deggendorf. Dieser Joseph Neff war Redemptorist und verstarb im Redemptoristenkloster Deggendorf am 9. Oktober 1925 an den Folgen einer Kriegsverwundung aus dem ersten Weltkrieg[7]. Das Redemptoristenkloster im niederbayrischen Deggendorf ist übrigens längst Geschichte, ja vergessen, – in den 1970 Jahren abgerissen, findet man nicht mal eine Artikel über dieses Kloster in der deutschsprachigen Wikipedia, – nur im Regiowiki Niederbayern findet man einen interessanten Artikel über das Kloster.

Während ich am Zeitzeugenkapitel über das Kriegsende in Bad Saulgau schrieb, wurde mir aus Verwandtschaftskreisen eine kleine Bilderkiste vermacht, – mit persönlichen Photographien, Zeitungsausschnitten, Todesanzeigen – die letztlich auch ein Blick in das katholischen Schwaben, vom Beginn des ersten Weltkrieges bis in die Nachkriegszeit Ende 1940, gewährt. Letztlich eine ähnliche Welt wie Martin Walser ihn im springenden Brunnen beschreibt. Was mich hingegen in dieser Welt schon immer verblüfft hat, wie wenig Rom und die Kurie in dieser Welt eine Rolle spielten. Der Kaplan  bzw. der Vikar (Pfarrvikar), der Pfarrer, der Weihbischof, der Bischof, sowie das Klosterleben  der oberschwäbischen Klöster waren im Alltagsleben dieser katholischen Welt weit wichtiger als das ferne Rom.

Blick ins Feuerenmoos, © Christophe Neff 13.02.2018

Und dann noch der Krieg, – der erste und der zweite waren in meiner Saulgauer Familie omnipräsent, ich habe das auch ausgiebig im schon erwähnten Zeitzeugenkapitel „Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg“ dargestellt. Aber die Kriegszeit und die Erinnerung daran sind mir auch in meinen Kindheitsjahren in Schramberg, der Schwarzwaldstadt in der ich aufgewachsen bin, immer wieder begegnet. Nicht nur in der Kindheit, – vor ein paar Jahren fuhr ich zur Trauerfeier und Beerdigung eines Schulfreundes auf den Sulgen. Es war ein schöner sonninger Wintertag, – Feuerenmoos und Sulgen, Hintersulgen schneebedeckt, – und dann in der Trauerfreier, war er plötzlich wieder da –  der Krieg, als der Pastor vom Bruder des Verstorbenen sprach, der als Pilot im Krieg gefallen war. Eine Wunde die nach über 70 Jahren nach Kriegsende noch schmerzte.

Johann holte den Ortsgruppenleiter ein, als der die Stiefelspitze auf die oberste Stufe setzte. Die Mutter, gerade im Gang, gerade unter der geöffneten Tür von Zimmer vierzehn. Auch geteilt. Fünfköpfig war da eine Familie untergebracht. Die Frau stand mit ihrem Achtjährigen, die Mutter stand mit Anselm, alle hörten die Ortsgruppenleiterstiefel auf den ächzenden Stufen. Drehen sich um. Ihm zu. Die Mutter sieht ihn und schreit. Und Anselm auch. Die Mutter rennt den Gang entlang ins geteilte Zimmer acht. Johann bleibt hinter dem Ortsgruppenleiter. Der Schrei hört nicht auf. Ein einziger Ton. Von Anselm hört man nichts mehr. Johann spürt selber nichts. Er erlebt nur, was die Mutter erlebt. Der Ortsgruppenleiter geht in die zur Küche gemachte Zimmerhälfte. Die Mutter hat die Tür offengelassen. Die Mutter steht, sieht dem Ortsgruppenleiter entgegen, gibt keinen Ton mehr von sich …. (Walser, M. 2021, 339)“

Als ich diesen Abschnitt, in dem der Ortsgruppenleiter der Familie mitteilt, dass der Sohn Joseph gefallen ist las, erinnerte ich mich daran, dass ich diese „Szenen“ wenn die Todesbotschaft über den im Krieg gefallen Sohn nach Hause überbracht wurde, das Schreien der Mütter, – das habe ich tatsächlich erzählt bekommen – und zwar in der Grundschule, die damals noch Volksschule hieß. In der vierten Klasse beim Lehrer Hunzinger[8] in der Grundschule am Kirchplatz auf dem Sulgen. Samstagmorgens in der letzten Stunde gab es immer die „Stunde“ Sagen und Geschichten aus der Heimat. Da wurde uns  vom Romäus aus Villingen, dem Hans vom Rechberg mit seinem berühmten Spruch Hostamadostha[9], manchmal klassische Sagen oder auch die Fabeln von La Fontaine.  -. Nebenbei erklärte er uns auch, dass ein Krattenmacher, also die Vorlage der Sulgener Narrenfigur, dem Sulgener Hansel, ein Korbmacher sei, von denen früher wohl einige auf dem Sulgen, sprich Sulgau und Sulgen gegeben habe. Die Kratte ist eine längst vergessene schwäbisch-alemannische Bezeichnung für Korb – ein Wort, welches Walserer u.a. auch im springenden Brunnen verwendet „ Der Großvater sagte, Johann könne einen Kratten holen und die gefallenen Äpfel auflesen, fürs morgige Apfelmus. Johann holte aus dem oberen Stock der Remise, wo alles herumlag, was man nicht mehr brauchte, aber dann doch wieder brauchte, einen Korb und las aus dem Gras unter allen acht Apfelbäumen das gefallene Obst (Walser, M, 2021, 36).

Und beim Erzählen kam der Lehrer Hunzinger manchmal auf von Leben auf dem Sulgen während der Kriegszeit zu sprechen. Er glitt sozusagen von den Krattenmachern, den einst getrennten Ortsteilen Sulgau und Sulgen die auch konfessionel getrennt waren, Sulgau war altwürttembergisch und evangelisch und zum Kirchgang mussten die Sulgauer zu Fuß ins mehrere Kilometer entfernte Schönbronn laufen, – und der Sulgen war schon immer katholisch, langsam aber stetig in die Zeit des Zeit des zweiten Weltkrieg. Und da hat er mehr als einmal von den Vorahnungen der Mütter vom Nahen Tod des Sohnes, vom Eintreffen der Todesnachricht, dem ländlichen Leben zwischen Sulgen, Haardt, Aichhalden und Dunningen berichtet. Die Angst vor einem unergründlichen Schicksal dem man nicht entkommen konnte, – der Krieg bringt Angst, Tod und Verzweiflung über das Land und die Städte und Dörfer zwischen Schwarzwald und Alb,  und selbst in den hintersten Ecken vom Sulgen, dem Lienberg, der Hutneck, wird niemand verschont, keiner kann sich vor dem Schicksal welches der Krieg einem vorsieht verstecken. Dem Schreien der Mutter auf dem Lienberg, als die Todesnachricht des Sohnes der in Russland gefallen war im Bauernhaus ankam, ein Schrei den man wohl auf dem ganzen Sulgen zu hören glaubte.  Auf unvergessliche Art vom Lehrer Hunzinger erzählt, sodass ich mich noch heute daran erinnern kann.

Der vorliegende Text ist ein Auszug meiner Gedanken die mir bei der Lektüre des autobiographischen Romanes „ein springender Brunnen“ während meines Aufenthaltes im Klinikum Worms Anfang Juli 2024 so durch den Kopf gingen. Es ist keine Literaturkritik und auch keine Buchzusammenfassung. Eine sehr gelungene von Hajo Steinert verfasste Zusammenfassung des Inhaltes des Buches kann man hier im Archiv des Deutschlandfunkes finden.

Würde man mich fragen, welches Buch ich empfehlen würde, um Einblick in das Alltagsleben des katholischen Oberschwaben und des Bodensees von den 1930 bis 1950 Jahre zu bekommen, dann würde ich bestimmt das Buch „ein springender Brunnen“ von Martin Walser empfehlen. Ein meisterhaft geschriebener Roman, der bei mir persönlich sehr viele Erinnerungen weckte. 

Überlingen Uferpromenade Blick über den Bodensee, © Christophe Neff 01.01.2024

Zusätzlich zum „Buchdeckelbild“, der von mir gelesenen Taschenbuchausgabe „ein springender Brunnen“ habe ich noch das Titelbild des letzten von Walser geschriebenen Buches „Das Traumbuch“ ausgewählt, weil dort sowohl im Text als auch in den von Cornelia Schleime gestaltenen Bildern Wasserburg und der Bodensee eine bedeutende Stellung einnehmen. Zuletzt auch noch ein von mir am Neujahrstag 2024 von der Uferpromenade in Überlingen mit Blick auf den Bodensee und im fernen Hintergrund gerade noch erkennbar die Alpen. Weiterhin noch eine Aufnahme aus dem winterlichen Feurenmoos, – welches ich am Tag der Beerdigung des Vaters des Schulfreundes machte.

Photos: © Christophe Neff 01.01.2024 und 13.02.2018

Bibliographie

Ditter, Robert (1993): „Hosta Madostha“ – Hans von Rechbergs Sprichwort. In: D’Kräz, 13, 18-21.

Neff, C. (2023): Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band III, Bad Saulgau Mai 2023, S. 252 – 259. (Ein PDF – Sonderdruck des Buchbeitrages kann in der KITOPEN Bibliothek heruntergeladen werden DOI: 10.5445/IR/1000159193)

Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg)(2023): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht. Menschen erinnern sich an eine schwierige Zeit, aber auch an den hoffnungsvollen Neubeginn. Ihre Wege kreuzen sich in Saulgau und Umgebung.  Mit einem Vorwort von Wolfgang Schneiderhahn. Ausgabe in drei Bänden im Schuber. Bad Saulgau Mai 2023.

Walser, Martin (2021): Ein springender Brunnen. Roman. 6. Auflage 2021, Erste Auflage 2000 suhrkamp Taschenbuch 3100, © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1998. ISBN 978-3-518-39600-1.

Walser, Martin; Schleime, Cornelia (2022): Das Traumbuch. Postkarten aus dem Schlaf. Copyright © 2022  Rowohlt Verlag Hamburg, ISBN 987-3-498-00319-7

Christophe Neff, Grünstadt Juli 2024, hochgeladen am 21.7.2024


[1] Siehe u.a « Une liseuse „Tolino“ pour délester ma bibliothèque »

[2] Vgl. « Blognotice 06.07.2024: veille du deuxième tour des élections législatives 2024 » und « Blognotice 02.06.2024 : « La promesse » d’Anne Lauvergeon »

[3] Dazu chronologisch „Blognotiz 13.03.2022: Erinnerungen an eine Bahnreise nach Saulgau im März 2010“, „Saulgau Oberschwaben Oktober 2022: Photos, Buchlektüren und Kindheitserinnerungen“, „Blognotice 16.11.2022: révision/finissage d’un chapitre de livre sur la fin de seconde guerre mondiale dans une petite ville allemande & débuts sur Mastodon“, „Net schon wieder Ulm“ : Über die Buchpräsentation „Aus dem Grau der Kriegszeit – Geschichten hinter der Geschichte“ in der Bad Saulgauer Stadthalle am Donnerstag den 25.5.2023

[4] Dazu siehe auch Neff, C. (2023): Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band III, Bad Saulgau Mai 2023, S. 252 – 259.

[5] Hierzu vgl. auch „Blognotiz 16.11.2014: Novembererinnerungen an Saulgau – Gedanken zum Volkstrauertag 2014“ und „Wintereinbruch erstes Adventswochenende 2023 : Bemerkungen zum Schnee & Bahnchaos in Süddeutschland“.

[6] Josef bzw. Joseph Neff geschrieben.

[7] Vgl Deggendorfer Donaubote Nr. 233, Samstag 10. Oktober 1925 Nr 233, 54 Jahrgang  S.2 „Lokales Allseitige Teilnahme wendet sich dem hiesigen Redemptoristen Konvente ob des raschen Hinscheidens des jugendlichen allbeliebten hochwürdigen P. Josef Neff. …. „

[8] Der Lehrer Hunzinger was Rektor der Grundschule am Kirchplatz auf dem Sulgen.

[9] Hostamadostha = Verballhornung von Hora mea adest, – angeblich von Hans von Rechberg getätigter Spruch angesichts der nahen Todes. Nach Ditter, R. (1993)  „hora matura“ = die Zeit ist reif.

Der Neckar – literarische Spaziergänge mit Jan Bürger

Blick auf dem Neckar von der Fähre Neckarhausen – Ladenburg, © Christophe Neff 15.03.2024

In Tübingen am Neckar bin ich geboren. Ich verbrachte dort, d.h. in Tübingen und in der näheren Umgebung meine ersten drei Lebensjahre, danach zogen wir nach Schramberg in den Schwarzwald, und zwar in die Bergvorstadt Sulgen, auf dem Schoren neben dem Feurenmoos, später dann in das Neubaugebiet Eckenhof in selbiger Schramberger Bergvorstadt . Fast zwanzig Jahre später wohnte ich keine 50 m Luftlinie vom Neckarufer entfernt in Mannheim-Neuostheim, –  von 1986 bis 1993 studierte ich Geographie an der Universität Mannheim[1]. Bei guten Wetter lief ich oft am Neckar entlang in die Mannheimer Innenstadt, stärkte mich mit einem „Fleischsalatbrötchen“ beim Grimminger auf den Planken und widmete mich danach dem Studium der Geographie an der Schlossuniversität[2].  Es gab auch Tage da lief auch einfach nur über die Riedbahnbrücke um auf die Maulbeerinsel zu gelangen, – und verbracht dort lange Stunden mit Lektüren, sah den Zügen auf der Riedbahnbrücke und erschloss mir dabei wohl einen Großteil der europäischen und amerikanischen Literatur. So viel Zeit zum Lesen würde ich wohl nie mehr haben werden, das war mir schon als Student bewusst. Und immer wieder führt es mich an den Neckar zurück. Ich habe noch Familie am Neckar im Schwäbischen, am Rande der Schwäbischen Alb, gar nicht weit weg von Niederstetten dem Geburtsort von Berthold Auerbach dem Erzähler der „Schwarzwälder Dorfgeschichten“[3].  Mannheim besuche ich immer wieder gern, – ja manchmal führe ich sogar noch Exkursionen ans Neckarufer durch.  In diesem Sinne habe ich bestimmt eine fast schon lebenslang andauernde Beziehung zum Neckar dessen Literaturgeschichte Jan Bürger in seinem Buch der Neckar eine literarischen Reise von der Quelle bis zu Mündung geographisch und literarisch beschreibt,

Mit Studierenen meines geobotanischen Frühjahrspraktikum auf der Fähre Neckarhause – Ladenburg, der letzten betriebsfähigen Fähre des Neckars, © Christophe Neff 15.03.2024

Eigentlich wollte ich mir ja nur noch in Einzelfällen „Papierbücher“ kaufen. Meine Bücherregale quellen über, einen „Tolino“ habe ich mir auch schon gekauft und nutzte diesen auch regelmäßig[4]. Jan Büger‘ s „der Neckar – eine literarische Reise“ hatte ich schon im Jahre  2013  gekauft und gelesen. Vor einigen Wochen hatte ich mitbekommen, dass es von dem Buch eine erweiterte Neuausgabe in als Taschenbuch gibt, – aber eben nicht als epub – und weil mich so viel wie oben geschildert mit diesem Fluss verbindet, habe ich mir es dann doch als echtes Papierbuch zugelegt. Dann das neue Kapitel „Herbst 2023, Neckarbiotop Zugwiesen“  verschlungen, – und danach noch den Rest des Buches wiedergelesen um herauszufinden ob mir das Buch immer noch so gefällt wie bei der ersten Lektüre im Jahre 2013. Wäre Jan Bürger im Herbst 2023 irgendwo zwischen Mannheim und Heidelberg am Neckarufer entlangspaziert, so wären ihm vielleicht die Kanadagänse auf dem Neckar[5] und vor allem die Edelsittiche, die grünen Alexandersittiche am Neckarufer aufgefallen. Ich hatte tatsächlich über diese großen grünen exotischen Vögel schon in einer Veröffentlichung über die urbane Vegetation Mannheims in den 1990 Jahren eine Randbemerkung veröffentlicht[6]. Dreißig Jahre danach kann man wohl sagen, dass das Neckarufer zwischen Mannheim und Heidelberg ein regelrechtes „Papageienland“ geworden ist. Die grünen Vögel finden sich inzwischen auch in Ludwigshafen, Frankenthal und Worms, – manchmal kann man sie auch schon über den Dächern von Grünstadt fliegen sehen, – hingegen scheinen sie in Karlsruhe noch nicht dauerhaft beobachtet worden. Darüber hinaus breiten sich auch neue Pflanzen in Wälder in Fluren aus, – rund um Stuttgart vor allem Kirschlorbeer (Prunus laurcerasus) und Runzelblättriger Schneeball (Viburnum rhytidophyllum) …  Man kann das schön bei einer Fahr auf der „Panoramastrecke“ der Gäubahn vom Stuttgarter HBF, also das was vom alten Bonatzbau noch übrig geblieben ist, rauf nach Vaihingen sehr schön sieht. Auf solch einer Zugfahrt, die man ja irgendwann so nicht mehr machen kann, weil mit Fertigstellung von Stuttgart 21 die „Panormabahn“  sterben soll, – kann man auch sehr gut in die Gärten in der Hauptmannsreute, Herdweg und Lenzhalde schauen, – und dabei auch hier und da – Hanfpalmen (Trachycarpus fortunei) und andere exotische Pflanzen entdecken. Palmen in Stuttgarts Gärten, das hätten sich Mörike und Schiller um nur zwei Namen zu nennen, wohl so nicht vorstellen können. Ähnliches gilt ja auch für Mannheim, – welches ich ja vor Jahren in einem Blogbeitrag als „Mannheim les Palmiers“ bezeichnete. Mannheim war schon seit Beginn der Industrialisierung ein „Hotspot“ der Ausbreitung von exotischen Pflanzen in Mitteleuropa. Inzwischen breitet sich ja im Mannheimer Hafengebiet das Pampagras (Cortaderia seollana) aus (Junghans, T. 2024).

Literarisch ist dieses neue Kapitel auch aufschlussreich, wobei mir „Felix Huby“ und „Anna Katharina Hahn“ fehlen. Man kann natürlich lange über den literarischen Wert von Huby‘s Kriminalromanen diskutieren, aber die Lektüre von „Bienzle und die schöne Lau“ und der „Atomkrieg in Weihersbronn“, – beide Kriminalromane las ich tatsächlich auf der „Maulbeerinsel“ im Neckar zwischen Neuostheim und Feudenheim,  hat mir das Werk Eduard Mörikes neu erschlossen. Ich gehöre ja noch zu der Generation von Gymnasialschülern die den „Feuerreiter“ und „Er ist’s“ auswendig lernen musste[7].  Ich halte auch das erste der autobiografischen Romantrilogie von Huby, also die „Heimatjahre“, für ein sehr gelungenes Buch.  Ja was Anna Katharina Hahn betrifft, „wer wenn nicht sie“ wurde zum literarischen Chronisten des Zeitgeschehens der Landeshauptstadt Stuttgart. Sie greift auch famos alte Begrifflichkeiten wie Beispielsweise den  „Pietcong“  wieder auch, – ich hatte das Wort ja fast schon vergessen  –  und durch die Lektüre von „Aus und davon“ – ist es mir wieder ins Gedächtnis gerufen worden. Natürlich gibt es da noch andere „neuere“ Bücher aus den Neckarlanden, Herkunft  von Saša Stanišić oder das deutsche Krokodil von Ijoma Mangold. Oder auch „Wem sonst als Dir“, (Kriminal) – Roman von Uta Maria Heim, der mich vom Hölderlinturm in Tübingen zurück in den Lärchenweg, die Dr. Helmuth Junghans Strasse in die Bergvorstadt Schramberg – Sulgen führte.

Aber letztlich ist das natürlich auch alles Geschmackssache, – und weiterhin muss die neue deutsche Literaturgeschichte des Südweststaates auch erst noch geschrieben werden. Und diesen Anspruch hat natürlich Jan Bürgers Buch auch nicht. Bausingers im Jahre 2016 verfasste  sehr lesenswerte „Schwäbische Literaturgeschichte“ kann man auch im neuen Buchkapitel finden. Jan Bürger ist ein guter Naturbeobachter, aber die Bedeutung der an den Ufer des Neckars wirkenden Schriftsteller für die heute im Naturschutz gängigen Leitbilder von schützenwerter Natur und Landschaft im deutschsprachigen Raum, werden im Buch nicht  thematisiert. Die „Schönheit“ der Landschaften rund um den Neckar, sowie sie die Dichter der „schwäbischen Dichterschule“, aber eben nicht nur diese „besangen“,  – finden sich in den heutigen in Deutschland gängigen Naturschutzleitbilder wieder. Im Grunde genommen waren das keine „natürlichen Landschaften“ – sondern es waren die Erinnerungsbilder der idealisierten Agrarlandschaften  rund um den Neckar vor dem Beginn der Industrialisierung im deutschsprachigen Südwesten. Und schön zu Leben war es in diesen Württembergischen Landen auch nicht immer. Der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahr 1815 verursachte das Jahr ohne Sommer im darauffolgenden Jahr 1816. Massenarmut und Auswanderungswellen hielten in Süddeutschland Einzug, und das Königreich Württemberg wurde besonders hart vom Jahr ohne Sommer getroffen.

In diesem Zusammenhang musste ich auch an ein Buch denken, was ich vor vielen Jahrzehnten als „Pennäler las, die  „Reise durch das Königreich Württemberg“  von Karl Julius Weber, denken.  Mein Vater hat es mir einst als Lektüre empfohlen. Darin findet man die vorindustriellen Landschaften Württembergs recht eindrücklich beschrieben.

Der Neckar – eine literarische Reise“ ist ein rundum gelungenes Buch.  Ich habe das ganze „neue“ Buch mit dem Zusatzkapitel jedenfalls sehr gern wieder gelesen, – und kann es allen die den „Neckar“ literarisch erwandern wollen sehr zur Lektüre empfehlen. Und sollte es irgendwann mal eine Neuauflage des Buches geben, würde ich mir einen farbigen Abdruck der Abbildungen wünschen, drucktechnisch ist das heute problemlos machbar und das würde auch den Preis des Buches nur unwesentlich erhöhen.

Bibliographie:

Bausinger, Hermann (2016): Eine schwäbische Literaturgeschichte. © 2016, Klöpfer & Meyer, Tübingen, I Auflage 2016

Bürger, Jan (2024): Der Neckar. Eine literarische Reise. Erste erweiterte um ein Nachwort ergänzte Taschenbuchausgabe. 1 Auflage 2024, C.H. Beck, © C.H. Beck München 2013, ISBN 978-3-406-81217-0

Hahn, Anna Katharina (2020): Aus und davon. Roman. 2. Auflage 2020, erste Auflage 2020 Suhrkamp Verlag Berlin 2020, ISBN 978-3-518-42919-8

Heim, Uta – Maria (2013): Wem sonst als Dir. Roman. Tübingen, Klöpfer & Meyer, ISBN 978-3-86351-064-0

Huby, Felix (1977): Der Atomkrieg in Weihersbronn : Kriminalroman. Reinbek bei Hamburg : Rowohlt, 1977, ISBN 3-499-42411-8

Huby, Felix (1985): Bienzle und die schöne Lau. Reinbek bei Hamburg,  rororo-Thriller 2705, ISBN 3-499-42705-2

Huby, Felix (2015 ): Heimatjahre. Roman. © 2014 Klöpfer & Meyer, Tübingen. 3. Auflage 2015, ISBN 978-3-86351-083-1

Junghans, T. (2024): Kurze Notiz zur Verwilderung des Amerikanischen Pampagras (Cordaderia selloana) im Mannheimer Hafen. In: Pollichia Kurier 1 (40), 2024, 14-15.

Neff, C. (1996): Neophyten in Mannheim – Beobachtungen zu vegetationsdynamischen Prozessen in einer Stadtlandschaft.  In: Anhuf, Dieter; Jentsch, Christoph (Hrsg): Beiträge zur Landeskunde Südwestdeutschlands und angewandten Geographie,  Mannheimer Geographische Arbeiten ; 46, 65-110. (U.a. hier in Researchgate hinterlegt)

Mangold, Ijoma (2018): Das deutsche Krokodil. Meine Geschichte. Copyright ©2017 by Rowohlt Verlag Gmbh, Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Dezember 2018, ISBN 978-3-499-63216-7

Stanišić, Saša ( 2019 ): Herkunft. Copyright © 2019 Luchterhand Literaturverlag München, 10. Auflage, ISBN 978-3-630-87473-9

Weber, Karl Julius (1978): Reise durch das Königreich Württemberg. Vorwort von Franz Georg Brustgi. Erläuterungen zu den Illustrationen von Rudolf Henning, Stuttgart : Steinkopf, 1978, ISBN 3-7984-0381-3

Bilder alle © Christophe Neff 15.03.2024

Christophe Neff, Grünstadt März 2024


[1] Zu meiner Studienzeit in Mannheim siehe u.a. auch “ Mannemer Dreck- traumhafte Zeiten – eine autobiographische Zeitreise mit Musikbegleitung nach Mannheim“,   „Ein paar Tage im November 1989: Erinnerung zum Mauerfall aus Südwestdeutschland“ sowie „Se ressourcer – auftanken, – über versteckte Orte in der Zeit vom 14. Juli 2022 – und andere Ferne und Nahe „Aufladestationen“.

[2] Zur Geschichte des Faches Geographie an der Universität Mannheim siehe auch „Das Fach Geographie an der Mannheimer Hochschule“.

[3] Siehe u.a. auch „Blognotiz 01.05.2013: Farbtupfen auf der Gäubahn, – Legoloks im Neckartal“.

[4] Siehe auch „Une liseuse „Tolino“ pour délester ma bibliothèque

[5] Kanadagänse in Neckarhausen, Beobachtung des Verfassers auf Inaturalist!

[6] Neff, C. (1996): Neophyten in Mannheim – Beobachtungen zu vegetationsdynamischen Prozessen in einer Stadtlandschaft.  In Mannheimer Geographische Arbeiten ; 46, 65-110.

[7] Vgl auch „Blognotiz 07.04.2013: Er ist’s – ist er es auch wirklich?“.

Maria (für Maria Kalesnikava)

Maria

(für Maria Kalesnikava)

12 Monate lang

Kein Wort nur Stille

Wind weht

kalt

durch  Birkenäste

Nackt und Licht durchflutet

Schneekristalklar

dein blaublondes Haar

verstummt

kurzgeschoren

wie ein Schrei in der Nacht

ungehört

Tag für Tag

Stunde für Stunde

bis der nächste Frühling uns weckt

wir vergessen dich nicht

eine Blume wächst für dich

in unserem Garten

die Vögel singen ein Lied für Dich

Maria

für Maria Kalesnikava die sich schon viel zu lange in Haft in einer Strafkolonie, in einem Lager an einem unbekannten Ort  in Belarus befindet. Seit über einem Jahr, seit dem 12.2.2023 gibt es kein Lebenszeichen von Maria mehr ! Im letzten Juni verfasste ich den  Text „Pour une juste cause – „Maria Kalesnikava“ emprisonné depuis plus de 1000 jours » um gegen das Vergessen anzukämpfen …

pour Maria Kalesnikava qui se trouve depuis trop longtemps en détention dans une colonie pénitentiaire, dans un camp situé dans un lieu inconnu en Biélorussie. Depuis plus d’un an, depuis le 12.2.2023, il n’y a plus aucun signe de vie de Maria ! En juin dernier, j’ai rédigé le texte „Pour une juste cause – „Maria Kalesnikava“ emprisonnée depuis plus de 1000 jours“ pour lutter contre l’oubli…

for Maria Kalesnikava, who has been detained for far too long in a penal colony, in a “Lager” at an unknown location in Belarus. There has been no sign of life from Maria for over a year, since February 12, 2023! Last June I wrote the text „Pour une juste cause – „Maria Kalesnikava“ emprisonné depuis plus de 1000 jours “ to fight against oblivion …

Birken im Winterlicht (Höningen -Altleiningen), © Christophe Neff 20.1.2024

Photo : © Christophe Neff, 20.1.2024 Birken im Winterlicht (Höningen – Altleiningen)

Christophe Neff, Grünstadt verfasst am 13.02.2024, publiziert am 14.02.2024