Ein Wagen Schuhe – in Erinnerung an Abraham Stuzkever

Ich habe es vorgestern in Pierre Assouline’s Bücherrepublik gelesen – pour saluer SutzkeverAbraham Sutzkever der Partisan und jidische Lyriker aus Wilna ist am 19. Januar 2010 in Tel-Aviv verstorben. Damit verläßt uns der Begründer der „Di Goldene keyt„. Es verbleiben uns seine unzähligen Gedichte wie „Unter dayne vayse shtern“ (unter deinem weißen Sternen streck zu mir deine Hand) – und natürlich seine Wilnaer Zeitzeugnisse die erst vor kurzem vom Ammann Verlag Zürich in Deutscher Sprache herausgeben wurden. Leider wurde der Tod von Abraham Sutzkever im deutschen Sprachraum kaum zu Kenntnis genommen, außer der Hommage „der Lyriker als Zeitzeuge“ in der neuen Züricher Zeitung von Stefana Sabina und einem Nachruf in der FAZ konnte man bis jetzt nicht viel lesen. Verbleibt also der Verweis auf Passouline’s Nachruf – pour saluer Sutzkever in der Bücherrepublikoder auch der Nachruf von Joseph Berger in der New York Times.

Meine Hommage an Abraham Sutzkever ist meine persönliche Übersetzung eines seiner bekanntesten Gedichte – A Vogn Shikh – Ein Wagen Schuhe – eigentlich ein Eisenbahnwagen voller Kinderschuhe der von Wilna nach Berlin rollt. Damit wir die Kinder nicht vergessen die diese Schuhe einst in den Gassen von Wilna getragen hatten.

A Vogn Shikh

Di reder yogn, yogn,

Vos brengen zey mit zikh?

Zey brengen mir a vogn

Mit tsaplendike shikh.

Der vogn vi a khupe

In ovntikn glants;

Di shikh- a fule kupe

Vi mentshn in a tants.

A khasene, a yontev?

Tsi hot mikh ver farblendt?

Di shikh- azoyne nonte

Oyf s’nay ikh hob derkent.

Es klapn di optsasn:

Vuhin, vuhin, vuhin?

Fun alte vilner gasn

Me traybt undz keyn Berlin.

Ikh darf nit fregn vemes,

Nor s’tut in harts a ris:

Ah, zogt mir, shikh, dem emes,

Vu zenen zey di fis?

Dis fis fus yene tufle

Mit knephele vi toy

Und do -vi iz dos guf

Und dort vu iz di froy

In Kindershik in alle

Vos zeh ikh nit kayn Kind

Vos tut nit on di kale

Di shikhelekh atsind

Durkh kindershikh un shkrabes

Kh’derken mayn mames shikh!

Zi flegt zey bloyz oyf shabes

Aroyftsien oyf zikh.

Un s’klapn di optsasn:

Vuhin, vuhin, vuhin?

Fun alte vilner gasn

Me traybt undz keyn Berlin.

Ein Wagen Schuhe

Die Räder rollen, rollen

Was haben sie geladen

Sie bringen mir ein Wagen

voll Kinderschuhe baumelnd

Wie eine Sternschnuppe

leuchtet der Wagen im Abendglanz

Ein Berg voller Schuhe

Wie Menschen im Tanz

Eine Hochzeit, ein Feiertag ?

Was blendet mich?

Die Schuhe – wie neu

Erkannt hab ich sie alle

Es klappern die Achsen

Wohin, Wohin, Wohin?

Von den alten Wilnaer Gassen

Gefahren nach Berlin

Ich darf mich nicht fragen wessen Schuhe

da tut mir das Herz zerreißen

Aber sagt mir ehrlich ihr Schuhe

Wo sind denn die Füße?

Die Füße dieser Schuhe

mit Knöpfle wie Tau

wo ist der kleine Körper

und dort wo ist die Frau

All die Kinderschuhe

ich seh hier keine Kinder

und hier die Hochzeitschuhe

ohne Braut

Zwischen den Kinderschuhen ein Shkrabes

Erkenn ich meiner Mutters Schuh

sie pflegte ihn sorgsam

um ihn an Shabes zu tragen

es klappern und klappern die Achsen

Wohin, Wohin, Wohin ?

von alten Wilnaer Gassen

Gefahren nach Berlin

(Übersetzung aus dem jidischen Original A Vogn Shi Christophe Neff 26.01.2010)

P.S.:

Das Yiddische habe ich mir als Oberstufenschüler und Student selbst beigebracht – lange vor der Klezmermode die Deutschland Mitte der 1990 erfasste. Gelernt wg. der Schönheit und Poesie der Sprache – so wie man immer noch in den Gedichten von Sutzkever und ihren Vertonungen finden kann – wie zum Beispiel in „Unter dayne vayse shtern„.

Christophe Neff, Grünstadt le 27.1.2010

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s