Das Biafrakind

Des Biafrakind  vom Schoren“ so nannte man mich als Kleinkind in der Kinderschule (so wurde in der Raumschaft Schramberg der Kindergarten genannt), in der Grundschule und auch in den ersten Klassen des Gymnasiums (obwohl ich da schon längst nicht mehr auf dem Schoren wohnte). Ich wurde so genannt, weil ich damals so dünn war – so schwindsüchtig dürr war, dass einige Erwachsene damals den Ausdruck „Biafrakind“ für richtig hielten.  Inzwischen sind fast schon vierzig Jahre vergangen und ich bin in ganz andere Gewichtskategorien aufgestiegen.

Biafrakinder wurden damals auch Kleinkinder genannt, die ihr Essen nicht aufessen wollte bzw. man drohte mit dem schlechten Gewissen – „denke an die armen Biafrakinder„.  Nur was ein Biafrakind war – das wusste von uns Kleinkinder Anfang der 1970 eigentlich niemand so genau. Eine Krankheit die man sich irgendwie auf der Straße aufschnappt – und von der man immer dünner wird und einen riesigen Hungerbauch bekommt? Natürlich hatten wir die „Biafrabilder“ gesehen – denn diese waren bis Mitte der 1970 Jahre durchaus präsent.  Bilder die ich wohl nie vergessen werde – aber erfahren und verstanden was eigentlich damals in Biafra geschah, das habe ich eigentlich erst viel später als Oberstufenschüler und später als Student.

Vor 40 Jahren am 12.01.1970 kapitulierte die Republik Biafra, – die letzten Kämpfe endeten am 15.01.1970 – die Republik Biafra, das Land der aufgehenden Sonne, wurde wieder in die Bundesrepublik Nigeria integriert. 

Der Biafrabürgerkrieg hat das Afrikabild in den westlichen Gesellschaften wie kaum ein anderer Konflitk nachhaltig geprägt. In Frankreich und im frankophonen Raum waren die Auswirkungen des Biafrakrieges bestimmt nachhaltiger und tiefgehender als bei uns in Deutschland, denn in Folge des Biafrabürgerkrieges wurde die Hilfsorganisation Médecins sans frontières (MSF ) die sogenannten French Doctors (oder auch Doctors without borders)   durch Bernard Kouchner und seine Mitstreiter gegründet. Aber auch bei uns Deutschland hat der Biafrakonflikt unser Afrikabild durchaus geprägt. Biafra ist aber heute hier zulande fast vergessen – wobei der Deutschlandfunk heute dem Untergang der Republik Biafra ein Kalenderblatt widmete – aber ansonsten wird man wohl annehmen müssen, dass kaum noch jemand weiß was sich hinter dem Begriff „Biafra, Biafrakind“ verbirgt. Dennoch nach über 40 Jahren sind die Biafrabilder immer noch aktuell – andere Jahre, andere Namen, andere Orte – Kivu, Darfur, Südsudan, Somalia, Ogaden, etc. – die Liste ließe sich noch weiter endlos fortführen – aber die Bilder sind eigentlich immer noch dieselben  – das Biafrakind ist zu einem zeitlosen Symbol des zerfallenden Afrika‘ s geworden.  Die ursprünglichen Bilder der Biafrakinder haben uns noch schockiert und zu einem regelrecht Aufschrei in der Weltöffentlichkeit geführt. Die Zeiten ändern sich; im Nordkivu gibt es nicht einmal Reporter (von Fernsehenteams ganz zu schweigen) die hinschauen. Nur MSF ist präsent, wie damals in Biafra, als alles anfing. Die Bilder sind die gleichen – nur sehen wir diese nicht mehr.  Die „Biafrakinder“ sind vierzig Jahre nach der Kapitulation der Republik Biafra nicht vom afrikanischen Kontinent verschwunden -ganz im Gegenteil diese sind noch immer allzu präsent – auch wenn wir diese nicht sehen – oder nicht mehr sehen wollen – oder nicht mehr sehen können !

Christophe Neff, Grünstadt le 12.1.2010

P.S. (13.1.2010 21:05): Unter dem Titel „Il y a quarante ans, le Biafra renonçait à l’indépendance “ veröffentlichte heute le Monde.fr ein kleines Bilderportfolio zu den wichtigsten Ereignissen des Biafrakrieges.