Shtil di nakht – Still die Nacht ist voller Sterne und der Frost er hat gebrennet

Shtil, di nacht iz oysgeshternt,

Un der frost – er hot gebrent –

so beginnt die erst die erste Strophe des Gedichtes „shtil di nakht “ von Hirsch Glik. Ein Gedicht welches uns vom jüdischen Widerstand gegen den Naziterror in poetischen Worten berichtet – vom Aufbäumen gegen die Vernichtung – von der Hoffnung auf Freiheit.  Als ich meinen letzten Beitrag  „Ein Wagen Schuhe – in Erinnerung an Abraham Stuzkever“ schrieb und ins Paysagesblog einstellte war ich mir gar nicht richtig bewusst, dass sich gerade an jenem Morgen die Befreiung von Auschwitz durch die rote Armee zum fünfundsechzigten mal jährte.  Das wurde mir eigentlich erst richtig klar als ich die Rheinpfalz von 27. Januar 2010 in der Hand hielt und auf der ersten Seite las „Stilles Gedenken am Gleis 17. Die Hände von Shimon Peres.  Israels Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger gedachte gestern zusammen mit Bundespräsident Horst Köhler am „Mahnmal Gleis 17″ in Grunewald der ermordeten Juden. Grunewald war einer der Berliner Bahnhöfe, von denen aus während der Nazizeit zehntausende Berliner Juden in Konzentrations -und Vernichtungslager deportiert wurden. (Die Rheinpfalz 27.1.2010)“.

Aber im Grunde genommen kann es eigentlich kaum ein besseres Symbol, für das war in Auschwitz geschah, geben, als der Eisenbahnwagen voller Schuhe in Stuzkever Gedicht A Vogn Shikh – ein Wagen voller (Kinder) – Schuhe. Die Züge rollten aus ganz Europa mit Menschenfracht in die Vernichtungslager – und die Eisenbahnwagen rollten ins Reich zurück mit den Kleidern, Schuhen, Haaren, Gold und dem Schmuck  der Opfer  – und kein Bild gewordenes Wort beschreibt dies besser als die Strophe aus A Vogn Shik

Un s’klapn di optsasn:

Vuhin, vuhin, vuhin?

Fun alte vilner gasn

Me traybt undz keyn Berlin.

( mein Übersetzungsversuch des Gedichtes von Stuzkever ist in Ein Wagen Schuhe – in Erinnerung an Abraham Stuzkever zu finden).

Das „Paysagesblog“ hat nicht den Anspruch „Tagesaktuell“ zu sein, das kann ich aus Zeitgründen gar nicht leisten, – und ich will es auch nicht.  Dennoch erscheint es mir wichtig doch noch ein paar wenige Zeilen zur Befreiung von Auschwitz vor 65 Jahren zu schreiben. Besonders wichtig erscheint mir dabei die Tatsache, dass es immer weniger Überlebende dieser Menschheitskatastrophe geben wird, Überlebende die Zeugnis ablegen können und es an uns den Nachgeboren liegt die Erinnerung und die Lehren weiterzutragen  damit sich so etwas nicht mehr wiederhole. In diesem Sinne erscheinen mir die Worte von Samuel Pisar im Le Monde vom 29.01.2010 – « Comment je me suis libéré de l’enfer d’Auschwitz »  –  als besonders lesenswert : „Aujourd’hui, nous, les derniers survivants de la plus grande catastrophe jamais perpétrée par l’homme contre l’homme, disparaissons les uns après les autres. Bientôt, l’Histoire va se mettre à parler, au mieux, avec la voix impersonnelle des chercheurs et des romanciers. Au pire, avec celle des négationnistes, des falsificateurs et des démagogues qui prétendent que la Shoah est un „mythe“. Ce processus a déjà commencé. C’est pourquoi nous avons un devoir viscéral de partager avec nos prochains la mémoire de ce que nous avons vécu et appris dans la chair et dans l’âme. C’est pourquoi nous devons alerter nos enfants, Juifs et non-Juifs, que le fanatisme et la violence qui se répandent dans notre monde à nouveau enflammé, peuvent détruire leur univers comme ils ont jadis détruit le mien. »

« Heute, verschwinden von un,s den Überlebenden, der größten durch am Mensch durch den Mensch verursachten Katastrophe, von Tag zu Tag mehr. In Kürze, wird die Geschichte sprechen,  – im besten aller Fälle mit der unpersönlichen Stimme der Wissenschaft und der Schriftsteller. Im schlimmsten Fall, mit der Stimme der Negationisten, der Demagogen die behaupten, dass die Shoah nur ein „Mythos“ ist. Dieser Prozess hat schon begonnen. Deshalb haben wir die Pflicht die Bild unsere Erinnerung,  – das was sich in unser Fleisch und Seele als Erinnerung eingebrannt hat unseren Nächsten weiterzugeben. Deshalb müssen wir unserer Kinder, Juden und Nicht  Juden alarmieren wenn Fanatismus und Gewalt unsere Welt in Flammen legen, um ihre Welt zu vernichten, wie sie einst meine Welt vernichteten (Samuel Pisar Le Monde 29.01.2010 Übersetzung C.Neff 30.1.2010).

In diesem Sinne erscheinen mir auch die Reden von  Shimon Peres  und Feliks Tych in der Gedenkveranstaltung des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27.1.2010 hielt für bemerkenswert.  Sie legten Zeugnisse ab,  für uns die Nachfolgenden. Im Sinne einer weiten Verbreitung dieser Reden, incl.  der Rede der Bundestagspräsidenten Norbert Lammert würde man sich wünschen, dass diese Reden in English und Französicher, ja in Hebräischer und jiddischer Übersetzung vorliegen (die Rede von Shimon Peres liegt auch in Englischer Übersetzung vor).

yadava-pfalz.1264925348.jpgDie Shoah erscheint uns manchmal wie ein schlechter Traum von einem fremden Ort aus einer fernen Zeit. Weit weg und vergessen. In der Stadt in der ich heute lebe, befand sich einst einer der größten jüdischen Gemeinden der Pfalz. Es gibt heute keine jüdische Gemeinde mehr in Grünstadt. Das pfälzische Landjudentum, die pfälzischen jüdischen Gemeinden, sind alle ausgelöscht worden – und die wenigen die das Glück hatten die Shoah zu überleben sind nicht mehr zurückgekehrt.

Mein kleiner Text endet mit dem Gedicht „Shtil, di nacht iz oysgeshternt“ von Hirsch Glik, dem jiddischen Poeten und Partisan, der das Glück hatte mit der Waffe in der Hand im Kampf gegen den Naziterrror zu fallen, der nicht wie die unzähligen wie Schlachtvieh zur Hinrichtungsstätte gebracht wurde. Hirsch Glik ist vor allem durch sein Gedicht „Zog Nit Keynmol “ (Sag niemals du gehst den letzten Weg) berühmt geworden.   Das Gedicht wurde von Dmitri Pokrass vertont – und wurde zum Symbol des bewaffneten jüdischen Widerstandes. Gedicht und Lied dem die englische und französische Wikipedia sogar einen eigenen Artikel widmen. Ich habe mich aber hier für  „Shtil, di nacht iz oysgeshternt“ das etwas weniger bekannt ist als“ Zog Nit Keynmol „, da es ich für etwas poetischer halte, entschieden. Ich kannte das Gedicht bis zum Mittwoch den 27.1. nicht. Ich es habe nach dem Einstellen meines letzten Blogbeitrag Ein Wagen Schuhe – in Erinnerung an Abraham Stuzkever auf den Diskussionsseiten des Beitrages Pour saluer Sutzkever in Pierre Assoulines Bücherrepublik gelesen, – dort wurde es am 26.1. um 21.37 von  montaigneàcheval eingestellt.  In New York und Paris wird noch jiddisch gesprochen.  New York ist zur Metropole des jiddischen Kultur weltweit geworden, Paris gilt heutzutage als das Zentrum des Jidischen in Europa. In Paris gibt es das Haus der jidischen Kultur – la maison de la culture yiddish  (wo auch immer wieder jiddische Intensivkurse angeboten werden, wie heuer an diesem Wochenende)- kein Wunder also, dass ich der ich in der Pfalz lebe, Shtil, di nacht iz oysgeshternt  auf den Diskussionseiten des francophonen Literaturbloges der republique des livres entdecken konnte. In der Pfalz ist das Jiddische seit fast über 70 Jahren verstummt.

Shtil, di nacht iz oysgeshternt,

Shtil, di nacht iz oysgeshternt,

Un der frost – er hot gebrent;

Tsi gedenkstu vi ich hob dich gelernt

Haltn a shpayer in di hent.

A moyd, a peltsl un a beret,

Un halt in hant fest a nagan,

A moyd mit a sametenem ponim

Hit op dem soynes karavan.

Getsilt, geshosn un getrofn

Hot ir kleyninker pistoyl,

An oto a fulinkn mit vofn

Farhaltn hot zi mit eyn koyl.

Fartog fun vald aroysgekrochn,

Mit shney-girlandn oyf di hor,

Gemutikt fun kleyninkn n’tsochn

Far undzer nayem, frayen dor.

(Eine deutsche Übersetzung bzw. Nachdichtung findet man u.a. hier.)

Abbildung: Die verlorenen Gemeinden der Pfalz. Gedenkstätte Yad Vashem. Umschlagseite 4  (beruhend auf einem Photo von Richarda Eich), des Buches „Jüdisches Leben in Grünstadt“ von Kya Schilling, Odilie Steiner und Elisabeth Weber, Grünstadt 2007. Selbstverlag der protestantischen Kirchengemeinde Grünstadt.

Christophe Neff, Grünstadt le 31.1.2010

P.S. 31.1.2010 17:30 Der oben zitierte Artikel  „Comment je me suis libéré de l’enfer d’Auschwitz“ von Samuel Pisar wurde auch in der New York Times veröffentlicht und zwar aufgesplittet in die Artikel  Out of Auschwitz und Liberation from Auschwitz.

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