Novemberschneeflocken 2025: Es schneielet, es beielet in Grünstadt

Es war ein Mittwoch im November des Jahres 2025. In der Ferne konnte ich in der Lücke zwischen der Trauerweide des Nachbarn gegenüber und den Dächern des Grünstadter Dächermeeres die Türme des Wormser Doms aus dem Rheinnebel ragen sehen. Man kann bei guter Sicht aus dem Fenster meines Arbeitszimmers die Türme des Wormser Doms erkennen. Der Wormser Dom St. Peter ist ja seit der Säkularisierung nur noch Pfarrkirche und Basilika minor. Aber einst war der das Wahrzeichen des nicht mehr existierenden Bistum Worms und des Wonnegau.

Im November vor einem Jahr begannen, fast vier Monate nach der totalen Prostatektomie, die postoperativen Komplikationen der Mitterrand’schen Krankheit. Ich schrieb damals einen längeren Blogbeitrag namens „Worms im Nebelmeer“. Seitdem lebe ich mit den Begleiterscheinungen dieser „Komplikationen“ und fahre regelmäßig ins Klinikum Worms[1].

Die Türme von St. Peter verschwinden hinter den Schneeflocken. Der Schnee bleibt jedoch nicht liegen. Sonst hätte ich es aufgeschrieben. Seit ich diesen Blog führe, schreibe ich immer einen kleinen französischen Blogbeitrag, wenn der Schnee mindestens einen ganzen Tag in Grünstadt liegen bleibt – zuletzt im Januar 2025: „Les premières neiges de l’hiver 2024/25 arrivent à Grünstadt durant la matinée du dimanche 5 janvier 2025“. Wobei Grünstadt im Gegensatz zu Schramberg, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, nie ein Schneeland war. Aber hin und wieder gab es auch in Grünstadt richtige Schneewinter. Im Bildband „1150 Jahre Grünstadt/Pfalz“, den Richarda Eich und Wolfgang M. Schmidt herausgegeben haben, findet sich auf Seite 32 ein Winterbild, das Grünstadt im Winter 1965 zeigt.

Ich lebe seit 1999 in Grünstadt, und ich würde sagen, dass es bis Beginn der 2010er-Jahre immer ein paar Tage eine geschlossene Schneedecke gab, in der die Kinder am Grünstadter Berg Schlitten fahren konnten. Hin und wieder gab es auch richtigen anhaltenden Märzschnee – wie zuletzt wohl 2013. Die Schneewinter in Schramberg sind für mich wohl eine unvergessliche Kindheitserinnerungen geworden. Im photographischen Nachlass meines Vaters befinden sich etliche Schnee und Winterbilder aus dem Raumschaft Schramberg. Aus dem oberschwäbischen Saulgau stammend waren für ihn die Schneewinter in Schramberg auch immer ein eindrückliches Naturerlebnis. Das Stadtarchiv der Stadt Schramberg hat übrigens vor kurzem in Facebook beeindruckende Schneewinterbilder  aus der Raumschaft Schramberg der 1950 Jahre aus dem Nachlass des Photographen Wilhelm Weiss veröffentlicht[2].

Ich muss an das Schwabenrocklied von Wolle Kriwanek denken: „Es schneilet, es beielet“, das während meiner Jugendjahre im Schwarzwald ein gern gehörter Ohrwurm war. In meinen Zeiten als Schwarzwaldbluessänger habe ich hin und wieder selbst gesungen. In der alemannischen Wikipedia gibt es einen kleinen Eintrag über das Lied, wobei ich das Lied immer mit Wolle Kriwanek verbinde. Ich höre mir auf YouTube den Wolle Kriwanek nochmals an und singe auch mit:

„Es schneielet, es beielet,

Es goht en kaldr Wend,

Es fliegt a schneeweiß Vegele

Oms Kepfle jedem Kend.“

Danach schlägt mir YouTube Marlene Dietrich vor – eine historische Aufnahme: „Sag mir, wo die Blumen sind“ – Düsseldorf, 5. Oktober 1962, auf der UNICEF-Gala, begleitet vom Orchester Max Greger. Ich schaue Richtung Osten – in der Nacht hat es wieder russische Raketen- und Drohnenangriffe auf die Ukraine gegeben. Es scheint nie aufhören zu wollen, im Winter wie im Sommer, im Frühjahr wie im Herbst. Mit Friedensliedern wird man das nicht stoppen können, das weiß ich, ich war ja nie „Pazifist“. Sonst hätte ich mich auch nicht bei der Bundeswehr zum Reserveoffzier ausbilden lassen[3].

Am nächsten Tag lese ich in der franuösischen Tageszeitung Le Monde den Kommentar von Benjamin Quénelle und Philippe Ricard: « Guerre en Ukraine : Russes et Américains négocient de nouveau dans le dos des Européens » zu den amerikanischen-russischen Verhandlungen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine. Eigentlich nichts Neues – das imperiale Amerika überlässt dem russischen Zaren „Ostmitteleuropa“ und erhält im Gegenzug freie Hand in Mittel- und Südamerika wie zu besten Zeiten der Monroe-Doktrin. Und der Herr im Kreml kann dann an der „Westfront“ mehr oder weniger nach Gutdünken vorgehen – wie damals Nikolaus I. von Rußland[4] im Kaukasus zu Zeiten von Hadji Murat (Hadschi Murat, dt.)[5]. Das war das letzte Werk von Lew Tolstoi. Da kann man sich schon fragen, inwiefern die Welt sich gewandelt hat – immerhin wurde die „leichte Kavalerie“ durch Drohnen ersetzt. Und St. Petersburg ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Und was die USA und die Trump-Administration betrifft, bin ich ziemlich illusionslos – mehr oder weniger alle Befürchtungen, die ich im Blogbeitrag „Blognotice 27.10.2024: America, where are you going?“ im Oktober 2024 geäußert habe, sind inzwischen eingetreten. Spätestens am 3. November 2026, anlässlich der sogenannten Midterms  wird man sehen ob man die USA noch zu den liberalen Demokratien rechnen kann!

Mit Friedensliedern wie „Sag mir, wo die Blumen sind“ wird man den Krieg in der Ukraine nicht beenden können. Dennoch singt „la Dietrich“ – am 5 Oktober 1962 in Düsseldorf beeindruckend schön, sie kommentiert das Lied auch auf Deutsch, Französisch und Englisch. Im Sammelsurium-Blog kann man einen interessanten Beitrag „Marlene Dietrich – Sag mir, wo die Blumen sind + Die Welt war jung (1962)“ über diese bemerkenswerte Vorstellung der „Diva“ nachlesen.

Dass man eine solche historische Aufnahme nur auf einer kommerziellen Plattform wie YouTube findet, ist traurig. Dieses historische Kulturgut (Ton- und Filmdokument) sollte eigentlich in einer staatlichen Sammlung in Deutschland archiviert werden und frei zugänglich sein.

Den Text verfasste ich vor nicht ganz zwei Wochen als Gedankennotiz am Mittwoch den 19.November 2025. In diesen zwei Wochen bis zur heutige Niederschrift wurde die Ukraine fast ununterbrochen, Tag und Nacht, von russischen Raketen und Drohnen angegriffen. Jetzt, an diesem Dezemberfreitag, blicke ich – wie so oft – aus dem Arbeitszimmerfenster Richtung Osten auf den Odenwald. Und weit dahinter entfernt liegt die Ukraine – und ich denke, wann wird das endlich ein Ende haben? Wann werden die Menschen in der Ukraine wieder ruhig schlafen können.

Beim Blick aus dem Fenster in Richtung Osten über den Odenwald hinaus denke ich auch an Maria, an Maria Kalesnikava, für die ich vor fast zwei Jahren ein Gedicht geschrieben habe: „Maria (für Maria Kalesnikava)“, damit man sie nicht trotz der Lagerhaft nicht vergisst.  Ich vergesse sie nicht und hoffe, dass sie das Lager bald verlassen wird und in Freiheit leben kann.

Bibliographie

Aucouturier, Michel (2004): Hadji Mourat. Édition présentée et annotée par Michel Aucouturier. Traduction de Jean Fontenoy et Brice Parain. Paris, © Éditions Gallimard, 1960 pour la traduction française ; 2004, présente édition. Folio classique 4038, ISBN 978-2-07-030431-8

Eich, Richarda; Schmitt, Wolfgang, Schmitt M.; Stadtverwaltung Grünstadt  (Hrsg.)(2025): 1150 Jahre Grünstadt/Pfalz: Fotos und Postkarten aus früheren Zeiten : 875-2025           Grünstadt, 2025, Stadt Grünstadt 2025 (ohne ISBN)

Tolstoï, Léon (2012) : Hadji Mourat . Tolstoï, Léon : Dans Souvenirs et récits. Préface de Sylvie Luneau. Traductions Sylvie Luneau, Pierre Pascal, Gustave Aucouturier, Boris de Schlœzer, Édouard Beaux, Jean Fontenoy et Brice Parain. Paris, 2012, © Éditions Gallimard 1960, Bibliothéque de la Pléiade Nr. 149, ISBN 978-2-07-010565-6, pages 1409 – 1533.

Als Gedankennotiz im November & Dezember 2025 verfasst, veröffentlicht am Freitag den 12.12.2025.

Christophe Neff, Grünstadt 12.12.2025


[1] Siehe u.a. auch „Blognotiz 31.07.2025: der Juli geht zu Ende und die Mauersegler sind schon fortgezogen“ und „Das Pfrimmhügelland: Von Weinbergen, Windrädern und Bauernkriegen: Eine Landschaft im Wandel – eine persönliche Blognotiz“.

[2] Das Facebookphotoalbum „Winter in den 1950er-Jahren“ Bildergalerie Wilhelm Weiss ist auch Internetarchiv archiviert !

[3] Zu meiner Reserveoffizierausbildung & Karriere bei der Bundeswehr siehe u.a. „Ottmar Schreiner – Sozialdemokrat, Fallschirmjägeroffizier und Katholik (21.04.2013)“ und „Die Truppen des Zaren Putin greifen die Ukraine an! (Übertragung der « Blognotice 24.02.2022: les troupes du Tsar Poutine attaque l’Ukraine » aus dem Französischen)“.

[4][4] Der deutschsprachige Wikipediaartikel über Nickolaus den I. von Russland ist von beeindruckender Inhaltslosigkeit. Da empfiehlt sich dann doch das französische Pendant „Nicolas Ier (empereur de Russie)“ oder der englischsprachige Wikipediaartikel „Nicholas I of Russia“.

[5] Zur Gemeinsamkeit von Nickolaus I. und Vladimir Poutin siehe auch den im Jahr 2013 geschrieben Beitrag „Blognotice 22.12.2013: De Dostoïevski à Mikhaïl Khodorkovski“.

Die „Vazvrachentsy“ im Roman Kolkhoze von Emmanuel Carrère

Zurzeit lese ich Kolkhoze, den neuen Roman von Emmanuel Carrère. Ich hatte mir den Roman nach der Lektüre der Rezension La smala d’Abd-el-Carrère mise à nu von Pierre Assouline in „La République des livres“ für meinen Tolino gekauft[1]. Ein paar Wochen später schickte mir ein Freund die begeisterte Kritik von Johanna Adorján in der Süddeutschen[2]. Der Freund aus München kommt wie ich selbst aus dem Schwarzwald, und wir teilen Lektüren und Buchrezensionen nun schon seit vielen Jahrzehnten. Er ist auch ein begeisterter und regelmäßiger Leser der Süddeutschen Zeitung , was ich selbst nicht bin. Aber mit dem Freund teile ich die Meinung, dass die Süddeutsche wohl die einzige verbliebene überregionale liberale Tageszeitung Deutschlands ist.

Und dann stoße ich irgendwann in „Kolhoze“ auf diesen Satz mit diesem Wort, das ich noch nie gehört hatte: „vazvrachentsy“ „Les chiffres sont incertains. Il semble qu’ils aient été entre cinq et dix mille, qu’on a appelés vazvrachentsy – les ‚retournants‘.“ („Die Zahlen sind ungewiss. Es scheint, dass es zwischen fünftausend und zehntausend waren, die man Vazvrachentsy nannte – die ‚Rückkehrer‘.“)(Carrére, 2025, p.85)

Ich gebe das Wort bei Google in mein „Schlautelephon“ ein – und dann die Überraschung: Google kann gerade mal sechs Links angeben, wobei Doppelungen dabei sind. So etwas habe ich schon lange nicht mehr erlebt, nämlich dass die Googlesuch – Maschine nur so dürftige Antworten liefert. Ich klicke auf den ersten Link Welt im Taumel: Emmanuel Carrère – Rentrée littéraire und lande beim Literaturblog des Romanisten Kai Nonnenmacher. Hier finde ich nicht nur eine kleine Worterklärung: Die Geschichte der vazvrachentsy (Rückkehrer), die nach der Revolution in die Sowjetunion zurückkehrten und dort im Gulag landeten, ist eine Mahnung an diejenigen, die an Putins Versprechungen glauben könnten (Kai, Nonnenmacher, Welt im Taumel: Emmanuel Carrère, 03.09.2025), sondern eine komplett äußerst detailreiche Rezension des Romans und auch des gesamten literarischen Werks von Carrère. Das war mehr als eine positive Überraschung. Ich hatte bisher noch keine so umfassende literarische Würdigung des Werks von Carrère auf Deutsch gelesen. Nonnenmacher ist Professor für Romanistik an der Universität Bamberg und befasst sich schon von Berufs wegen mit französischer Literatur. Dennoch beeindruckt sein Literaturblog. Fast alle französischsprachigen Bücher, die ich in den letzten Monaten gekauft und gelesen habe, werden darin besprochen. Bemerkenswert sind darin auch die Besprechung von „Houris“ von Kamel Daoud „Die Jungfrau im lebendigen Diesseits: Kamel Daouds Doppelroman“ oder auch der Kommentar zur Festnahme Boualem Sansal im November 2024 „Boualem Sansals Festnahme und ein Raumschiff[3].  Wer sich im deutschsprachigen Raum ernsthaft mit französischer Literatur befasst kommt an Nonnemachers Literaturblog „Rentrée littéraire: französische Literatur der Gegenwart“ kaum vorbei! 

Es fehlt „L’heure des prédateurs[4] von Giuliano da Empoli. Das ist wahrscheinlich eines der besten „geopolitischen“ Sachbücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Das Buch erscheint jetzt auch unter dem Titel „Die Stunde der Raubtiere“ in der Übersetzung von Michaela Meßner auf Deutsch[5]. Hingegen findet man in Nonnenmachers Blog eine Rezension des Romans „Le Mage du Kremlin“ von da Empoli unter dem Titel Russland als Albtraummaschine des Westens. Vielleicht werden in Nonnenmachers Blog aber auch keine französischen Sachbücher rezensiert.

Ich selbst bekomme meine Einblicke in die französische Literaturwelt durch meine eigenen Lektüren, aber auch das regelmäßige Lesen des „Monde des livres“ und der Literaturblogs „La République des livres“ von Pierre Assouline. Für alle, die des Französischen nicht mächtig sind, bietet der Literaturblog „Rentrée littéraire: französische Literatur der Gegenwart“ einen hervorragenden Einblick in das aktuelle Literaturgeschehen in Frankreich und der frankophonen Welt. Ich bin persönlich wirklich sehr überrascht, dass es so etwas jenseits kommerzieller Erwägungen überhaupt noch gibt. Im kommerziellen Feuilleton unserer überregionalen Tages- und Wochenzeitungen findet man derlei tiefgründige Rezensionen französischsprachiger Bücher nur noch selten. Aber wahrscheinlich fehlt es auch an entsprechenden Redakteuren, die des Französischen überhaupt mächtig sind.

Was mir in der beeindruckenden Rezensionsliste von Nonnenmacher etwas gefehlt hat, ist das Buch, mit dem ich sozusagen meinen Sommer verbracht habe: „Dictionnaire amoureux de Pouchkine[6] von André Markowicz[7]. Wobei man bei diesem Buch trefflich streiten kann, ob es nur ein Sachbuch ist – oder eben Literatur. Immerhin hat mich die Kenntnis der russischen Literatur schon vor über zwölf Jahren zu dem wenig schmeichelhaften Vergleich von Nikolaus I. von Russland und Wladimir Putin geführt – man kann das auch in diesem Blogbeitrag Blognotice 22.12.2013: De Dostoïevski à Mikhaïl Khodorkovski immer noch nachlesen. Die Lektüre des Romans von Carrère erlaubt es mir, mein literarisches Russlandbild wieder zu erweitern. Er bietet jedoch durchaus interessante Einblicke in die neuere französische Geschichte wie auch die französische Literaturgeschichte.

Ob Carrères Roman es nun schafft, endlich den begehrten Prix Goncourt zu bekommen, weiß ich nicht – aber ich halte es für durchaus möglich. Immerhin gibt es da ja noch die Konkurenz der Romans „la maison vide“ von Laurent Mauvignier[8]. Übrigens äußert sich Nonnenmacher auch zu diesen Buch, siehe „Die unauffindbare Medaille: Laurent Mauvignier“.

Nach den ersten 126 Seiten des Roman „Kolkhoze“ habe ich jedoch nicht den Eindruck, dass das die primäre Absicht von Carrère  war. Er schreibt vor allem über seine Familiengeschichte – und diese ist sehr eng verzahnt mit der russischen Welt, mit der russischen Geschichte der letzten 150 Jahre. Sollte es den Prix Goncourt für das Buch geben auch gut !

Und was das Wort „vazvrachentsy“ betrifft, habe ich mich bei „Le Chat AI Mistral“, also der französischen Antwort auf ChatGPT und Co., erkundigt – und diese Antwort erhalten: „Das Wort ‚Vazvrachentsy‘ (auf Russisch: возвращенцы) ist ein russischer Neologismus und bedeutet wörtlich ‚Rückkehrer‘ oder ‚Heimkehrer‘. Es bezieht sich auf Menschen, die nach Russland zurückkehren, oft nach einem längeren Aufenthalt im Ausland – sei es aus beruflichen, politischen oder persönlichen Gründen.“

Vielmehr kann ich derzeit über den Roman Kolkhoze nicht schreiben, da ich erst auf Seite 126 (Tolino-Paginierung) angekommen bin. Aber immerhin weiß ich jetzt mit dem Wort „Vazvrachentsy“ etwas anzufangen. Hinter dem Wort verbirgt sich ja auch eine sehr traurige Geschichte. Die Vazvrachentsy, also die Russes blancs, die Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg auf Einladung Stalins in die Sowjetunion zurückkehrten, also dem Wort Stalins glaubten, landeten meistens im Gulag oder in der Verbannung, soweit man sie nicht gleich hinter der sowjetischen Grenze erschoß.

Bibliographie:

Da Empoli, Giuliano (2022) : Le Mage du Kremlin, Roman. Paris, Éditions Gallimard, 21 mars 2022, ISBN 978-2-07295819-9

Da Empoli, Giuliano (2025) : L’heure des prédateurs. Paris, Éditions Gallimard, 2025 Paris, ISBN 978-2-07311323-8

Da Empoli, Giuliano (2025) : Die Stunde der Raubtiere. Macht und Gewalt der neuen Fürsten. Aus dem Französischen von Michaela Meßner.

Daoud, Kamel (2024) : Houris, roman. Paris, Éditions Gallimard, 2024. ISBN 978-2-07300002-6

Carrère, Emmanuel (2025): Kolkhoze. Paris, 2025 © Emmanuel Carrère et P.O.L éditeur, 2025, © P.O.L éditeur, 2025 pour la version numérique. ISBN 978-2-81806198-5

Markowicz, André (2025) : Dictionnaire amoureux de Pouchkine. Dessins d‘ Alain Bouldouyre d’apres Alexandre Pouchkine. Paris, 2025 , © Éditions Plon, un département de Place des Éditeurs, 2025, ISBN 978-2-259-31829-7

Mauvignier, Laurent (2025) : La maison vide. Roman. Paris : Les Éditions de minuit, ISBN 978-2-7073-5674-1

Christophe Neff, Grünstadt im Oktober 2025


[1] Zu meinem Tolino siehe auch „Une liseuse « Tolino“ pour délester ma bibliothèque ».

[2] Hierzu „Emmanuel Carrère Dafür sollte er endlich den Prix Goncourt bekommen“, Johanna Adorján, Süddeutsche Zeitung 11 September 2025.

[3] Zur Festnahme Boualem Sansal durch die algerischen Behörden siehe auch „Poste restante : Alger  – pour ne pas oublier Boualem Sansal !“.

[4] Rezension des Buch finden sich u.a. in Le Monde unter den Titeln „Dans « L’Heure des prédateurs », Giuliano da Empoli analyse le fonctionnement des « seigneurs de la tech » L’écrivain italo-suisse peint, dans son dernier essai, une fresque des César Borgia du monde contemporain. » Nicolas Truong Le Monde 21.04.2025 “ und „ Giuliano da Empoli, un portraitiste de l’« internationale réac » Auteur du best-seller « Le Mage du Kremlin », le politiste italo-suisse vient de publier « L’Heure des prédateurs ». Un essai dans lequel cet ancien conseiller politique livre les ressorts du nouveau désordre mondial. Clémentine Goldszal, Le Monde 16.04.2025 “.   

[5] Eine lesenswerte deutschsprachige Buchkritik von „die Stunde der Raubtiere“ kann man unter „Die Stunde der Raubtiere: Warum die Gegenwart so erschreckend an das Italien des Cesare Borgia erinnert“ in der Leipziger Zeitung finden.

[6] Eine ausgezeichnete Rezension des Buches findet von Pierre Assouline findet man hier „Pouchkine, c’est la Russie

[7] Siehe hierzu u.a. « Blognotice 22.06.2025: canicule et Fête de la musique & Dictionnaire amoureux de Pouchkine » und « Blognotice 31.08.2025 : les Sternbergia lutea en fleurs, l’automne approche ».

[8] Hierzu auch die Buchkritik  « Ce quelque chose d’absent qui tourmentait Laurent Mauvignier » von Pierre Assouline.

Lesenotizen zum Buch „Vom Bosporus zum Nesenbach – und zurück?“ von Ergun Can

Und wieder gibt es einen Neuzugang in der Schramberg-Abteilung meiner kleinen Privatbibliothek: ein kleines Büchlein, das den Titel „Vom Bosporus zum Nesenbach. Und zurück? Die Geschichte einer erfolgreichen Integration“ trägt. Es ist die Autobiographie des Diplom-Ingenieurs und Maskenschnitzers Ergun Can. Auch wenn es der Titel nicht vermuten lässt, handelt ein Großteil des Buches von Schramberg, denn der Verfasser verbrachte einen großen Teil seiner Kindheit und Jugendjahre in Schramberg im Schwarzwald. Das Buch legt Zeugnis ab über die erfolgreiche Integration eines sogenannten „Gastarbeiterkindes“ in die deutsche Nachkriegsgesellschaft.

Beim Lesen des Buches fragte ich mich immer wieder, warum man bisher keine Kritiken in den Feuilletons unserer überregionalen Tageszeitungen zu diesem Buch findet. Schließlich ist die Integrationsfrage eine der zentralen Fragen unserer heutigen Gesellschaft. Doch auch in der regionalen Presselandschaft Baden-Württembergs konnte ich keinerlei Rezensionen zu Ergun Cans Buch entdecken. Trotz aller Widrigkeiten und Widerstände hat es Ergun Can mit viel Fleiß und Hingabe geschafft, nicht nur Teil dieser deutschen Gesellschaft zu werden, ohne seine eigene Identität zu verleugnen, sondern durchaus auch als Vorbild zu dienen. Und fürwahr war dieser Weg nicht immer einfach für ihn. Darüber legt sein Buch ebenfalls Zeugnis ab.

Ich teile eine Gemeinsamkeit mit Ergun Can: Wie Can verbrachte ich große Teile meiner Kindheit und Jugendzeit in Schramberg. Das Buch erlaubt es einem, das Schramberg der 1960er und 1970er Jahre aus einem neuen, anderen und doch so bekannten Blickwinkel wieder neu zu entdecken. Ergun Can lernte bei Siegfried Schaub, dem Vater eines Klassenkameraden, das Maskenschnitzen. Inzwischen sind die Fasnetsmasken von Ergun Can Ausstellungstücke und Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen (siehe u.a. Lixfeld 2024). Aber auch viele andere Namen aus Ergun Cans Schramberger Zeit sind für mich nicht unbekannt.

Natürlich geht es im Buch nicht nur um Integration, Schramberg und Fasnetsmasken, sondern auch um das langjährige Wirken von Ergun Can in der SPD. In diesem Sinne findet man im Buch von Ergun Can auch „Innenansichten“ zur Parteigeschichte der SPD des „Südweststaates“.

Ich habe das Buch gern gelesen. Besonders gefallen hat mir die Erwähnung des Ehepaars Otto und Inge Schütz und ihrer Kinder auf Seite 21. Wer erinnert sich in Schramberg noch an den Bankdirektor Schütz und seine Familie? Wie Ergun Can verbrachte ich einen Teil meiner Jugend mit den Kindern des Ehepaares Schütz, vor allem mit Thomas. Wobei das natürlich später war – da wohnten die Schützens, wie meine Eltern auch, oben auf dem „Sulgen“ im Lärchenweg. Die Familie Schütz war wirklich eine sehr weltoffene und gastfreundliche Familie.

Und dann gibt es noch etwas ganz Besonderes, das ich mit Ergun Can teile nämlich das Bekenntnis zum Schwäbischen[1]: Immer, wenn man mich fragt, woher ich komme, sage ich: aus Schramberg im Schwarzwald – dort, wo man inmitten von Schwarzwaldtannen immer noch echtes „Schwäbisch“ schwäzt[2].

Bibliographie

Can, Ergun (2025): Vom Bosporus zum Nesenbach. Und zurück? Die Geschichte einer erfolgreichen Integration. © 2025, R.G. Fischer Verlag Frankfurt am Main, ISBN 978-3-8301-9394-4

Frommer, Heike: „Gabel – çatal, Brot – ekmek, Teller – tabak.“ Familiensaga Can. In: Frommer, Heike/Mohn, Brigitte (Hg.): Zwischen zwei Welten. Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in Schramberg. Begleitbuch zum Forschungs-, Ausstellungs- und Mitmachprojekt des Stadtmuseums Schrambergs und des JUKS in Kooperation mit dem Eine-Welt-Forum Schramberg (= Schriften des Stadtmuseums Schramberg 24). Schramberg 2011, S. 28–37.

Lixfeld, Gisela: Ergun Can als Maskenschnitzer, in Landesmuseum Württemberg (2024), (Hrsg.): feld & wege: 100 Jahre Forschung und Dokumentation – von der Volkskunde zur Alltagskultur, Heidelberg: arthistoricum.net, 2024, S. 146–151. https://doi.org/10.11588/arthistoricum.1405.c20020          

Kowalski, Rebecca (2023): Tradition im Wandel? Die Schramberger Fasnet. In: HISTORISCHER AUGENBLICK, Blog des Instituts für Geschichtsdidaktik der Universität Tübingen.

Christophe Neff, Grünstadt 13.10.2025


[1]Ich habe über sechzig Jahre wieder und wieder das Lob erhalten, dass ich gut Deutsch spreche, »aber woher kommen Sie denn?«. Da erwidere ich stets gelassen, dass ich nicht gut Deutsch, sondern Schwäbisch spreche und aus Schramberg käme (Can, Ergun, 2025, S. 79)“.

[2] Zur Bedeutung des Schwäbischen beim Verfasser dieses Textes siehe u.a. „Schwäbisch – Französische Lesenotizen zu „Mein Schwaben“ von Vincent Klink“ .

Paysages’ forecast for Nobel Prize in Literature 2025

As every year since 2009, Paysages tries to forecast the winner of the Nobel Prize in Literature[1]. As every year, the task is difficult but this year my favourite candidate for the 2025 Nobel Prize in Literature is António Lobo Antunes[2] followed by Mia Couto. So I would position António Lobo Antunes in first place followed by Mia Couto and furthermore the other aspirants of my permanent list of candidates for the Nobel Prize in Literature:  Lyudmila Ulitskaya, Boualem Sansal , Claudio Magris,  Adunis, Margaret Atwood, Jamaica Kincaid, Anne Carson, Art Spiegelman, Marjane Satrapi,  Don DeLillo , Kamel Daoud, Salman Rushdie, Pierre Michon and perhaps Richard Powers. This is more or less the same list as in 2024. A review of some more “Nobel Prize in Literature 2025 Speculations” can be found here in the Literary Saloon, and here in the English Edition of El País: “Who will win the Nobel Prize for Literature? Amitav Ghosh, László Krasznahorkai, Cristina Rivera Garza, and Enrique Vila-Matas are the bookmakers’ favourites”.

Awarding the Nobel Prize in Literature to Salman Rushdie or to Boualem Sansal would also be a very political statement. Sansal is, in fact, a political prisoner; he has been in an Algerian prison for almost a year now. He is suffering from prostate cancer, and it is unclear whether he will survive his five-year prison sentence. From time to time, I share my post „written in December 2024“ ”,  “Poste restante: Alger – pour ne pas oublier Boualem Sansal!” on Mastodon[2] and Bluesky[3] to remember his fate and ask for his liberation.

And now we have to wait until October 11, 13:00 CET to know who will be awarded the Nobel Prize in Literature 2025.

 Christophe Neff, Grünstadt 08.10.2025

P.S: (09.10.2025 13:05): Finally László Krasznahorkai was awarded with the Nobel Prize in Literature 2025.


[1] See also, Le Nobel à Herta Müller ? Der Literaturnobelpreis für Herta Müller ? ,Wer wird den Literaturnobelpreis 2010 verliehen bekommen?, Blognotice 5.10.2011 – neiges automnales & prochain lauréat du Prix Nobel de littérature , Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2012, Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2013, Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2014, Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2015, Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2016, Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2017, Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2018/2019, Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2020 , Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2021, Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2022 ,Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2023 and Paysages forecast for Nobel Prize in Literature 2024.

[2] See also #BoualemSansal on Mastodon

[3] See also #BoualemSansal on Bluesky

La Marsa, le TGM et mes souvenirs tunisiens de Claudia Cardinale

Je me réveille tôt ce matin, sous une pluie battante. Il fait encore nuit quand j’apprends, dans Le Monde : « Claudia Cardinale, égérie du cinéma italien, est morte à l’âge de 87 ans. » Une partie de mon univers cinématographique s’éteint avec elle, mais ses œuvres et sa vie resteront à jamais gravées dans ma mémoire.

Je repense aux bruits sourds des premières motrices glissant sur les rails encore humides de la rosée nocturne, celles du TGM quittant La Marsa-Gare[1] en direction de Carthage, La Goulette, Tunis… Le jour se lève, et l’appel à la prière du matin résonne sur La Marsa et ses environs.

 Durant mes années tunisiennes[2], on pouvait encore çà et là, dans la rue ou dans certains cafés entre Tunis et La Marsa, entendre des bribes de mots siciliens ou italiens noyés dans des phrases aux résonances franco-arabes[3]. Ce monde disparu, on en retrouve l’écho dans « Un été à La Goulette » de Férid Boughedir, où Claudia Cardinale incarne son propre rôle.

C’est aussi durant mes années tunisiennes que j’avais pu observer Férid Boughedir et son équipe tourner le téléfilm « Villa Jasmin » – car plusieurs scènes du film ont été tournées à l’hôtel Sidi Bou Saïd, à Sidi Dhrif, où je séjournais habituellement pendant mes séjours en Tunisie. En écrivant ces lignes, je me demande si le journal « Il Corriere di Tunisi » existe encore : pendant mes années tunisiennes, cette voix italienne en Tunisie était encore présente.

En dehors de cette « séquence tunisienne » et de mes souvenirs très personnels, j’ajouterais que, jeune enseignant-chercheur à l’université de Mannheim, je tenais un cours sur les paysages méditerranéens, avec un chapitre analysant le rôle du paysage dans le cinéma, plus particulièrement les paysages dans le néoréalisme italien et au-delà… Dans ce chapitre, je parlais aussi de Rocco et ses frères, du Guepard de Luchino Visconti, de Claudia Cardinale et d’Alain Delon. Mais au-delà, il me reste le souvenir inoubliable de ses rôles dans « Il était une fois dans l’Ouest », « Fitzcarraldo [4]», « Mayrig » et « 588, rue Paradis ». Comme par coïncidence, dans mon dernier billet dans paysages, en partie consacré à l’œuvre de Werner Herzog, je parle aussi de Fitzcarraldo – qui reste l’un de mes films préférés depuis plus de 40 ans.

Le Monde vient de republier le remarquable entretien que Annik Cojean avait mené avec Claudia Cardinale, en mai 2017 : « Claudia Cardinale au « Monde » : « Ce métier m’aura offert une foule de vies »», où l’actrice évoque entre autre sa jeunesse française en Tunisie : « Oui. Mes ancêtres avaient quitté la Sicile pour la Tunisie, alors protectorat français. Et mes parents, comme moi-même, avons donc été élevés dans la langue française. J’ai eu beaucoup de chance, car ils formaient un couple éternel… Ma langue maternelle est le français… »

Ce petit billet de blog met en lumière la couverture de son livre « Ma Tunisie », une évocation à la fois cinématographique et nostalgique d’un monde méditerranéen aujourd’hui disparu. Je le conclus avec cette citation, extraite de l’ouvrage : « Un été à La Goulette en 1995. Je joue mon propre rôle. Ce tournage n’était pas prévu : de passage à Tunis, j’avais croisé le réalisateur Férid Boughedir, qui me demanda de faire une apparition dans le film. Il m’a convaincue. À Carthage, où avait lieu le tournage, il m’a fait une magnifique surprise : il m’a dit d’aller sur le balcon… et j’ai découvert toute la population de la ville réunie pour m’applaudir. C’est un souvenir fantastique, et un cadeau unique ! » (Cardinale, Claudia, 2009, p. 85).

Bibliographie :

Cardinale, Claudia (2004) : Du Lycée de Tunis à Hollywood. In : Tselikas, Effy & Hayoun, Lina (Eds.) : Les lycées français du soleil. Creusets cosmopolites du Maroc, de l’Algerie et de la Tunisie. Paris, les Éditions Autrement, ISBN 2-7467-0435-8, p. 201 – 207.

Cardinale, Claudia (2009) : Ma Tunisie. Boulogne sur Mer, 2009, Timée Éditions. ISBN 978-2-35401-082-9

Christophe Neff, écrit et publié à Grünstadt 24 Septembre 2025


[1] Gare aujourd’hui dénomme « La Marsa Plage »

[2] Voir aussi « Les belles de Tunis sont en deuil » et « Impressions du « Deuxième Symposium International de l’AGT : « Territoires, Changements globaux et Développement Durable», 12-17 novembre 2018, Hammamet –Tunisie » et naturellement « Villa Jasmin – quelques pensées personnelles en vagabondant sur le téléfilm de Férid Boughedir (PDF du Texte dans KITopen, DOI: 10.5445/IR/1000162896

[3] Cela ressemblait un peu a la  « chakchouka » de langues dont nous parle Claudia Cardinale dans le Chapitre « Du Lycée de Tunis à Hollywood » dans le livre les lycées français du soleil : « A` la maison,  nous parlions en français en mélangeant des mots d’arabe, d’hébreu, de sicilien une véritable chakchouka (Cardinal, C. 2004, p. 203)»

[4] Dans la nécrologie de Claudia Cardinale de Georg Seeßlen  « Sie war die Göttin der Zukunft  – Die Filme „Der Leopard“ und „Spiel mir das Lied vom Tod“ machten Claudia Cardinale unsterblich. Für Italien bedeutete die Schauspielerin aber noch viel mehr. Ein Nachruf» dans l’hebdomadaire allemand die Zeit les conditions de tournage difficile de Fitzcarraldo sont évoquées. Voir aussi la nécrologie de Christian Buß dans le Spiegel « Zum Tod von Claudia Cardinale Die größte Überlebenskünstlerin des europäischen Kinos In ihren Filmen erzählte sie von der Gewalt und der Ökonomie, denen der weibliche Körper ausgesetzt ist. Die Geschichte von Claudia Cardinale ist eine des Willens, der Würde und des Widerstands. »

Blognotiz 19.09.2025: Spätsommer & Herbstfahrten durch die Frankenthaler Terrasse – Windenergielandschaften und Radiobegegnung mit Werner Herzogs „paysages intérieures“

Blick auf den Windpark Dirmstein-Groß-Kleinniedesheim-Heuchelheim, © Christophe Neff 19.09.2025

Ich fahre, wie so oft, nach Frankenthal an den Bahnhof, um jemanden aus der Familie abzuholen. Angesichts der „Kettenverspätungen“ der Bahn ist das Umsteigen in die Regionalbahn nach Grünstadt in Frankenthal ein richtiges Glücksspiel – und wenn man Pech hat, wartet man eben „ewig“ auf den nächsten Anschluss. Diesmal hole ich meine Schwägerin und ihren Ehemann ab. Sie leben eigentlich in einem französischsprachigen Land, wo die Züge in der Regel pünktlich sind. Diesmal kommen sie jedoch aus dem Norden, aus der Hansestadt Hamburg, und haben bereits mehr als zwei Stunden Verspätung, als ich ins Auto steige.

Im Radio läuft auf SWR Kultur die Sendung „Der Soldat des Kinos – Ehrenlöwe für Werner Herzog“, ein SWR-Kultur-Forum unter anderem mit Rüdiger Suchsland als Mitdiskutant[1]. Suchsland ist so etwas wie der „Monsieur Cinéma“ des Südwestrundfunks. Früher, in meiner Jugend, war das Herbert Spaich. In meiner Oberstufenzeit weckte mich das Radio – mein damaliger Lieblingssender SWF3 – mit den Filmtipps von Herbert Spaich oder mit Gisela Eberles Gesundheitsansprache „Guten Morgen – positiv sollen Sie den Tag beginnen“. Irgendwann begann ich dann auch aufzustehen und lief dann das „Steighäusle“ vom Sulgen hinab in die Talstadt zur Schule ins Gymnasium Schramberg um dort irgendwann nach Schulbeginn auch anzukommen. Das war noch die Zeit, als der kürzlich verstorbene Frank Laufenberg den „Popshop“ in SWF3 moderierte.

Ich war damals – wie auch später während meines Studiums – ein richtiger Cineast, ein Kinogänger, der ein- bis zweimal pro Woche ins Kino ging. Lange Zeit war Fitzcarraldo einer meiner Lieblingsfilme, vielleicht ist er es sogar immer noch. Für „Fitzcarraldo“ bin ich sogar mit dem Fahrrad von Schramberg nach Paris gefahren[2]. Das ist lange her, und im Kino war ich seitdem Abschluss des Studiums nur noch selten. Zuletzt sah ich Anselm – Das Rauschen der Zeit von Wim Wenders und viele Jahre zuvor Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht von Edgar Reitz, Film in dem Werner Herzog in einer Gastrolle den Alexander von Humboldt spielt.

In Grünstadt gibt es zwar einen sehr schönen Kinokomplex, „die Filmwelt Grünstadt“, doch meistens wird nichts gezeigt, das meinem Filmgeschmack entspricht. Filme in Originalfassung gibt es so gut wie nie. Im letzten Frühjahr hätte ich mir gerne das Original des brasilianischen oscarprämierten Films Ainda Estou Aqui (Für immer hier) angeschaut. Er wurde tatsächlich in einem Mainzer Kino gezeigt, doch die Komplikationen, die mit der „maladie de Mitterrand“ verbunden waren, verhinderten diese Kinofahrt nach Mainz. Kinofilme sehe ich mir meistens später im Fernsehen an – in den meisten Fällen auf Arte oder, wie zuletzt im ZDF, „An einem Tag im September“. Dieser Spielfilm berührt in gewisser Hinsicht meine eigene deutsch-französische Familiengeschichte[3].

Mein Fahrtweg ist gesäumt von Windkraftanlagen. Wegen der Komplikationen mit der „maladie de Mitterrand“ beschränkt sich mein aktueller räumlicher Radius auf Fahrten ans Klinikum Worms oder auf „familiäre Taxifahrten“ von oder zum Frankenthaler Hauptbahnhof. Die Landschaft, die ich durchquere, gehört laut der „Naturräumlichen Gliederung Deutschlands“ zur „Frankenthaler Terrasse“. Wie beim „Unterem Pfrimmhügelland“ gibt es auch hier keinen Wikipedia-Artikel über diesen Naturraum[4]. Die Funktionsweise eines Naturraums hat in Deutschland kaum noch gesellschaftliche Relevanz. Sonderbarerweise berufen sich die Proteste gegen den geplanten Windpark bei Dirmstein genau auf den Schutz des Naturraums zwischen Obersülzen und Dirmstein[5].

Das Windrad ist zum Symbol des Landschaftswandels, aber auch zum Symbol für „Nutzungskonflikte“ in der Landschaft Mitteleuropas geworden. Nicht umsonst ziert das Buchcover der Zweitauflage von „La théorie du paysage en France“von Alain Roger das Foto eines Windrads. Als ich mich vor Jahrzehnten auf der „Frankenthaler Terrasse“ in Richtung Grünstadt bewegte, konnte man nachts die hellerleuchtete amerikanische Raketenstellung auf dem Quirnheimer Berg sehen[6]. Die Raketenstellung ist verschwunden – nun leuchten dort nachts die Positionsleuchten der Windräder.

Blick auf Bockenheim und den Quirnheimer Berg mit Windkraftwerken, – dort befand sich im kalten Krieg die US-Raketenstellung, © Christophe Neff 19.09.2025

Meine Schwägerin bemerkt während der Autofahrt nach Frankenthal, dass sie das Gefühl habe, es gebe bei jeder Reise nach Grünstadt mehr Windräder. Sie wüchsen förmlich wie Pilze aus der Landschaft. Ich pflichte ihr bei und sage: „Ja, das Gefühl ist bestimmt nicht ganz falsch.“ Gleichzeitig weise ich darauf hin, dass man Energie nicht zum umweltpolitischen Nulltarif bekommt – und Energie verbrauchen wir alle. Doch meine Schwägerin hat nicht unrecht: Die Windräder sind längst zu einem markanten Landschaftelement geworden. Zwischen Grünstadt und Frankenthal sieht man sie überall – in der Nähe und in der Ferne. Man kann ihnen visuell kaum noch ausweichen.

Ich denke an Werner Herzog und versuche mir vorzustellen, wie ein Film von ihm über Windkraft und Windkraftlandschaften aussehen würde. Weltweite Windenergielandschaften aus Herzogs filmischer Erzählperspektive. Tatsächlich gibt es eine wissenschaftliche Arbeit über die Landschaften im Werk Werner Herzogs: „Les paysages intérieurs de Werner Herzog“, eine französische Abschlussarbeit von Manon Levet im Fach Kunstgeschichte, die man im „Halopenarchive“ finden und herunterladen kann. Dass diese Arbeit in Frankreich verfasst wurde, wundert mich nicht. Ich habe den Eindruck, dass Herzogs künstlerisches Werk dort erheblich mehr gewürdigt wird als in Deutschland.

In diesem Sommer gab es im „Le Monde“ eine lesenswerte Sommerserie über das Leben von Isabelle Adjani[7] – und darin war eine Episode dem Film „Nosferatu – Phantom der Nacht“ und den Dreharbeiten mit Werner Herzog und Klaus Kinski gewidmet. Auch in diesem Blog verfasste ich bereits einen Beitrag über einen Herzog-Film auf Französisch: „Souvenirs d’une soirée de samedi passé devant le petit écran : Au cœur des volcans, requiem pour Katia et Maurice Krafft, documentaire de Werner Herzog“. In Frankreich genießt Herzog doch ein anderes Renommee als in Deutschland. Ich glaube hierzulande ist er nur noch ein „Geheimtipp“ für eingefleischte Cineasten und Boomer. In der Generation meiner Kinder, oder auch bei meinen Studierenden, kennt ihn wohl kaum noch jemand.

Werner Herzog hat auch eine bemerkenswerte Autobiographie verfasst: „Jeder für sich und Gott gegen alle. Erinnerungen“. Als ich mit meiner Schwägerin und meinem Schwager an den Windrädern entlang durch die „Frankenthaler Terrasse“ nach Grünstadt fuhr, hatte ich gerade mit der Lektüre dieses Buches begonnen. Inzwischen weiß ich: Wer mehr über die „paysages intérieures“, also die inneren Landschaften Werner Herzogs, erfahren möchte – und darüber hinaus ein vollständiges Werkverzeichnis (Filmographie, Operninszenierungen) sucht –, der sollte dieses Buch lesen. Ich erlaube mir daraus die letzten Sätze zu zitieren „An ihrem Fuß ist sie achtundzwanzig Meter dick und aus besonders gehärtetem Stahlbeton gegossen. Dieser untere Teil stünde noch mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, majestätisch, ohne etwas verkünden zu können, keine Botschaft an niemanden. Dort am Fuß der glatten Betonwand, gäbe es kristallklares Sickerwasser aus den Felsen zur Seite, aufgesucht von Rudeln von Hirschen, als wäre (Herzog, Werner: 2022, p. 329)“

Quellen und Bibliographie:

  • Herzog, Werner (2022): „Jeder für sich und Gott gegen alle. Erinnerungen“. München, 5. Auflage 2022, © Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, ISBN 978-3-446-27561-4.
  • Levet, Manon (2016): „Les paysages intérieurs de Werner Herzog“. Art et histoire de l’art. HAL Id: dumas-01438354
  • Roger, Alain (Hrsg.) (2009): „La théorie du paysage en France : 1974–1994“ (Réédition). Seyssel: Champ Vallon, ISBN 978-2-87673-508-8.

Nachwort zur Texterstellung

Den vorliegenden Text entwarf ich am 28.08.2025 bei der familiären Taxifahrt Grünstadt- Frankenthal HBF- Grünstadt im Auto und speicherte es als Gedächtnisprotokoll ab. Die Niederschrift fand dann im Laufe des Septembers statt. Photos von den Windrädern des Windpark „Dirmstein-Groß-Kleinniedesheim-Heuchelheim“ sind auch in den Beiträgen „Wintersonnenwende 2024“ und „Blognotice 11.01.2022 : les liens perdus du blog paysages“ zu finden. Man kann die Windräder dieses „Windparkes“ von erhöhten Standorten in Grünstadt sehr gut sehen. Tatsächlich bin ich die „Wegstrecke“ Grünstadt – Frankenthal HBF – Grünstadt so oft gefahren, dass ich fast jeden Baum und Busch am Wegerand dort kenne. Die gartenflüchtige Pallisadenwolfsmilch (Euphorbia characias)[8] am Straßenrand in Dirmstein, der Mandelbaum in Obersülzen auf dem die Halsbandsittiche sich verpflegen und rasten[9], den Paradiesvogelbaum in Dirmstein der im Spätsommer & Herbst blüht[10].

Photo: © Christophe Neff 19.09.2025

Christophe Neff, Grünstadt August/September 2025


[1] Siehe : „ Der Soldat des Kinos – Ehrenlöwe für Werner Herzog, Karsten Umlauf diskutiert mit Dr. Kristina Jaspers, Kuratorin, Deutsche Kinemathek Berlin, Rüdiger Suchsland, Filmkritiker Prof. Dr. Marcus Stiglegger, Filmwissenschaftler. Forum, Sendung vom 28.08.2025

[2] Siehe u.a.  « De Schramberg à Paris en vélo – souvenirs de ma première rencontre avec « Notre – Dame de Paris » sowie « Mit Thomas E. Schmidt die Bundesrepublik der Babyboomer bereisen »

[3] Siehe u.a. „Ein persönlicher Rückblick auf sechzig Jahre Élysée-Vertrag“und « Blognotice 22.01.2013: pensées personnelles franco-allemandes sur le cinquantième anniversaire du Traité de l’Elysée »

[4] Siehe u.a. „Das Pfrimmhügelland: Von Weinbergen, Windrädern und Bauernkriegen: Eine Landschaft im Wandel – eine persönliche Blognotiz

[5] Zum geplanten Windpark Dirmstein siehe u.a. „Windpark Dirmstein – Ein Projekt von BayWa r.e.“ (Webpräsenz des Projektbetreibers)

[6] « Launching Area Quirnheim » dazu u.a. mehr in „Quirnheim – ehem. Atomwaffenstandort, Deutschland“ in Webpräsenz Atomwaffen  A – Z.

[7] Le Monde « Séries d’été, Isabelle Adjani, célèbre inconnue – Malgré ses quarante-cinq films, ses quinze pièces de théâtre et ses cinq Césars, la star du cinéma français reste une énigme. » Samuel Blumenfeld, August 2025.

[8] Siehe Inaturalist Beobachtung 276494790

[9] Siehe Inaturalist Beobachtung 315026479

[10] Siehe Inaturalist Beobachtung 314994187

Blognotiz 24.08.2025: Insomnialektüren und Déesse

Irgendwann in dieser Sommerwoche, wachte ich mitten in der Nacht auf und entdeckte den neuesten Beitrag in Schneckinternational – „Agde – Aout“. Wenn ich mal schlecht schlafe, was Gott sei Dank selten vorkommt, lese ich oder schaue aus meinem Schreibzimmer und betrachte den Nachthimmel. Sebastian Rogler schreibt in „„Agde – Aout“ über seine Ferieneindrücke in der Stadt Agde welche an der Mündung des Flusses Herault ins Mittelmeer liegt. Ein alter Citroën Bx fungiert als Titelbild und erinnert mich daran, dass ich irgendwann mal etwas über meine „Autos“ in paysages schreiben wollte. Also über die Autos die ich in meinem Leben schon gefahren habe und die dann auch Teil meines Lebens wurden. Hier in Grünstadt begegnet mir ab und zu eine alte „Déesse[1]“. Sie parkt öfter gar nicht so weit weg von meiner Schreibstube entfernt, quasi fußläufig in wenigen Minuten erreichbar. Sollte ich jemals einen größeren Betrag im Lotto gewinnen, würde ich mir auch so eine „Déesse“ kaufen wollen. Einfach so um durch die Landschaft zu fahren, durch Weinberge und Wälder. Aber dazu müsste man auch erst einmal Lotto spielen.

Ergänzend zu seinem Blogbeitrag hat S. Rogler auch in Facebook noch eine paar Urlausbsbilder aus Agde und Umgebung in veröffentlicht. Besonders beeindruckend ist das Photo „n’oublions jamais le progrom du 7 octobre 2023[2]. Ich bin mir nicht sicher, aber das müsste das « Hôtel de Ville » also das Rathaus des benachbarten  Béziers sein. Da kann man gemütlich mit den „Schiff“ auf dem Canal du Midi von Agde nach Béziers fahren. Oder mit dem Fahrrad entlang des alten Treidelsweges am Kanal entlang unter Platanen und Pinien die Landschaft zwischen beiden Städten erkunden.

Sebastian Rogler ist auch so ein „alter Blogger“ wie ich selbst  – er führt seinen Blog schon seit 2006, also seit bald zwanzig Jahren. Damit exitiert „Schneckinternational“ schon drei Jahre länger als das  Paysages Blog[3]. Das hat in unserer Zeit, in der fast nur noch über soziale Netzwerke kommuniziert wird „Seltenheitswert“ bzw. ist schon ein „Alleinstellungsmerkmal“. Vielleicht sollte Sebastian die Texte aus seinem Blog zu einem Buch machen. Ein Buch in dem man hier und da auch eines seiner Bilder und Photos abgedruckt findet. Ähnliches hat ja „Joe Bauer[4]“ auch mit seinen „Depeschen“ und „Kolumnen“ gemacht und diese u.a. im Buch „Einstein am Stuttgartstrand – Beobachtungen eines Stadtspaziergängers“ veröffentlicht. Den „Einstein am Stuttgartstrand“ habe ich durch eine Buchkritik von Julia Schröder im Radio entdeckt und anschließend mit Gewinn gelesen[5]. Am 4. September 2026, also in einem Jahr und ein paar Tagen wird Schneckinternational zwanzig Jahre alt – der Blog startete mit dem Beitrag „Schuhe“. Das wäre doch Anlass genug, ein schönes Buch aus den lesenswerten Texten von Sebastian Rogler zu machen. Ich wäre bestimmt Käufer und Leser eines solchen Buches.

Bibliographie:

Bauer, Joe (2024): Einstein am Stuttgartstrand. Beobachtungen eines Stadtspaziergängers. Berlin : edition TIAMAT, © Verlag Klaus Bittermann 2024, Critica Diabolis, 333 ISBN 978-3- 893-20-320-8

Christophe Neff, Grünstadt 24.08.2028


[1] Déesse (franz. Göttin) so wird im Französichen oft die Citroën DS bezeichnet.

[2] Zum 7 Oktober 2023 siehe u.a. „Souvenirs des chants d’Israël, « La Caravane des Cavaliers  (Chayreth Harochvim) »“  und „Paysages: Retour sur le 07 octobre 2023 –  „Stand with Israel!““. Im letzteren Beitrag findet sich auch ein Photo eines Bildes von Sebastian Rogler.

[3] Den Paysagesblog gibt es nun schon seit 16 Jahren. Siehe auch « Paysages – seizième année d’existence sur la toile donc déjà six ans sur wordpress.com (billet trilingues français, allemand, anglais) »

[4] Webpräsenz von Joe Bauer.

[5] Siehe u.a. „Buchkritik Joe Bauer – Einstein am Stuttgartstrand. SWRKultur Julia Schröder Buchkritik“, SWRKultur, 3.2.2025.

Blognotiz 31.07.2025: der Juli geht zu Ende und die Mauersegler sind schon fortgezogen

Der Juli geht zu Ende. Die Mauersegler haben Grünstadt auch schon verlassen. Ich beobachte die Segler schon seit Coronazeiten, nicht nur die Mauersegler, sondern alle Vögel die über dem Stadthimmel von Grünstadt die ich eindeutig erkennen kann. Aber die Präsenz der Mauersegler in Grünstadt verleitete mich dazu, eine Art täglicher Vogelliste zu führen. Ich führe sie noch heute und weiß daher recht genau, in welchem Zeitraum die Mauersegler den Grünstadter Himmel bevölkern. Aus meinem Interesse an den „Seglern“ habe ich mir in dieser „Mauerseglersaison“ das schöne und auch sehr informative Buch „Mauer- und Alpensegler“ von Alfred Engler gekauft[1]. Die letzten Mauersegler im Grünstadter Stadthimmel in diesem Jahr 2025 habe ich dann auch am Montag den 29.07.2025 beobachtet. Wahrscheinlich wird man in diesem Jahr hier in Grünstadt keine Mauersegler mehr sehen.

Den Fortgang der Jahreszeiten kann ich auch auf meinen regelmäßigen Fahrten ins Klinikum Worms beobachten. Die Maladie de Mitterrand[2] und die ganzen Komplikationen, die sich aus der Behandlung dieser Krankheit ergeben, bedingen es, dass ich regelmäßig dorthin ins Klinikum fahre. Mit dem Auto kann man die Strecke bequem „erledigen“, wenn sein muss auch mehrmals am Tag. Meistens fahre ich über Pfeddersheim durchs Pfrimmtal, manchmal auch „außenherum“ über Flörsheim-Dalsheim. Wenn ich eine „GoPro“-Kamera hätte, könnte ich eine jahreszeitliche Videolandschaftsanalyse über meine Wegstrecken von Grünstadt ins Wormes Klinikum vice versa machen. Jetzt ist der Hochsommer da, die Mähdrescher sind schon gefahren, und die Getreidefelder sind abgeerntet. In Pfeddersheim gibt es auch die Pfeddersheimer Bluthohl, also die Straße nach Mörstadt. So könnte ich auch mal fahren. Vor 500 Jahren tobte hier im Juni 1525 im Bauernkrieg die Schlacht bei Pfeddersheim. Aber der Bauernkrieg ist schon längst aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. In der Schlacht von Pfeddersheim sind wohl soviele Menschen zu Tode gekommen, dass das Blut der Gefallenenen die Straße nach Mörstadt mit Blut füllte, – daher kommt wohl der überlieferte Name „Pfeddersheimer Bluthohl“.

Ich könnte auch mit dem Zug fahren. Aber das wäre ein erheblich zeitintensiverer Vorgang. Umsteigen in Bahnhof Monsheim und vom Bahnhof mit dem Bus ans Klinikum. Zweimalige ambulante Termine am Tag sind nur so schwer machbar – bzw. man muss den Tag dann am Klinikum Worms verbringen. Früher gab es auch in Worms mal eine Straßenbahn, sowie es auch einmal eine direkte Bahnverbindung Grünstadt – Worms gab. Mit etwas Phantasie könnte man sich vorstellen, dass man in Worms wieder ein modernes Straßenbahnnetz kreiert und diese neue Wormser Straßenbahn auch ans Klinikum fahren lässt. Die stillgelegte Bahnstrecke nach Grünstadt könnte man auch wieder reaktivieren und einen „Tram-Train“ nach Karlsruher Modell von Grünstadt in die Wormser Innenstadt und ans Klinikum fahren lassen. Das ließe sich auch mit anderen Destinationen verwirklichen. Aber das wird natürlich nie kommen, genauso wie die „Flomersheimer Kurve“, die Direktzüge ohne Umsetzen des Zuges in Frankenthal von Grünstadt nach Ludwigshafen oder Mannheim erlauben würde, wahrscheinlich nie kommen wird[3]. Ohne Umsetzmanöver (Fahrtrichtungswechsel) in Frankenthal wären direkte Eisenbahnverbindung von Grünstadt nach Mannheim in ca. 40 Minuten durchaus machbar. Nur leider fehlt der politische Wille das auch umzusetzen !

Soweit ich irgendwann wieder meine Arbeit am KIT aufnehmen kann, werde ich wohl wieder mit dem Auto fahren müssen. Und schon vor der Diagnose der Mitterrandschen Krankheit im Winter 2024 fielen mir die Autofahrten zum KIT immer schwerer. Die Verkehrsdichte hat auf dem südwestdeutschen Strassennetz in den letzten so erheblich zugenommen.  Und dann gibt es ja noch die Zellertalbahn, deren Reaktivierung von Jahr zu Jahr verschoben wird[4]. Wenn dann, wie geplant, im Jahre 2028 die Bahnstrecke Mannheim – Saarbrücken wegen der „Generalsanierung“ fünf Monate voll gesperrt wird, könnte man die wieder reaktivierte Zellertalbahn sehr gut als Ausweichstrecke für die gesperrte Bahnstrecke Mannheim – Saarbrücken nutzen. Aber das scheint sowieso niemanden zu interessieren.

Und überhaupt haben wir nach der Hitzeperiode Ende Juni/Anfang Juli – eine Hitzeperiode, die ich im Artikel „Mittwoch, 02.07.2025: ‚Canicule‘ Grünstadt – Sausenheim 16:00 Uhr 38,1 Grad“ thematisierte – wieder einen ganz normalen, sehr niederschlagsreichen mitteleuropäischen Sommer, wie er in meiner Kindheit und Jugend durchaus normal war. Damit sind die Herausforderungen, die uns durch den Klimawandel drohen, fürs Erste für einige Zeit schlichtweg vergessen. Mehr Verkehr von der Straße auf die Bahn bzw. das Binnenschiff zu bringen, das nannte man „klimaökologische Verkehrswende“, und das wollte man vor Urzeiten, als die berühmte Ampel noch regierte, in Bewegung bringen. Übrig geblieben aus diesen Zeiten ist davon das „Deutschlandticket“ – aber das wird wahrscheinlich auch bald das Opfer von alternativlosen Spar- und Budgetzwängen werden.

Was mich in diesen letzten Juliwochen auch sehr beschäftigt hat, ist die Lage in Gaza. Die Bilder aus Gaza erinnern mich an die Bilder aus dem Biafrakrieg in meiner Kindheit. Ich habe darüber in den letzten Tagen zwei Blogbeiträge auf Französisch verfasst: „Ces images insoutenables qui me rappellent les souvenirs des enfants du Biafra“ und „Blognotice 30.07.2025: et encore les souvenirs du Biafra se mêlent aux images de la famine à Gaza“. Ich hatte mir erst überlegt, das auch noch ins Deutsche oder ins Englische zu übersetzen, aber inzwischen denke ich, dass DeepL – oder auch Le Chat AI von Mistral – so gute Übersetzungen liefert, dass ich mir das auch sparen kann. Diejenigen die sich für den Inhalt der Artikel interessieren und deren Französischkenntnisse nicht für die Lektüre dieser Artikel ausreicht die werden dann einfach diese KI unterstützten Übersetzungstool nüzten.

Heute veröffentlichte der ehemalige französische Premierminister Dominique de Villepin in der Tageszeitung Le Monde einen aufrüttelnden Aufruf: „Dominique de Villepin: ‚Nous avons le devoir moral absolu de nous opposer à cette folie meurtrière à Gaza‘“[5]. Man wünschte sich, dass dessen Appell auch in Deutschland gelesen und wahrgenommen wird. Als Abonnent der Wochenzeitung Die Zeit würde ich mir wünschen, dass „Die Zeit“ den Text von Dominique de Villepin übersetzt und publiziert.

Abschließend noch: Aus dem Zimmer in Grünstadt, in dem ich gerade meinen Blogbeitrag schreibe, kann man nicht nur „Vögel“ über dem Stadthimmel von Grünstadt beobachten, sondern, wenn man ein Fernglas benutzt, auch ganz deutlich den Wormser Dom sehen.

Bibliographie:

Engeler, Alfred (2025): Mauer – und Alpensegler. Flugakrobaten ohne Grenzen. Bern, © 2025, Haupt Verlag Bern, ISBN 978-3-258-08410-7

Christophe Neff, Grünstadt, 31.07.2025


[1] Über die Mauersegler und andere Segler wie z.b. Fahlsegler berichtet ich auch im Paysagesblog schon mehrfach wie z.B. in „Blognotice 18.08.2024: de retour à Grünstadt“ und „Blognotice 20.10.2024 : Port Leucate octobre 2024

[2] Siehe auch „Cahiers de maladie (Cancer de la prostate) »

[3] Siehe hierzu „Freitag 10 November 2023: Klimakleber vor dem KIT“.

[4] Zur Zellertalbahn in diesem Blog siehe auch „ Blognotice 17.03.2017: Il y avait une fois un train direct Worms – Paris via la Zellertalbahn“.

[5] Dominique de Villepin : « Nous avons le devoir moral absolu de nous opposer à cette folie meurtrière à Gaza »  – « Pour l’ancien premier ministre, se taire face à l’horreur de la situation dans l’enclave palestinienne n’est plus possible, le silence serait une forme de complicité. Chacun a le devoir d’agir et de nommer le crime en cours, affirme-t-il dans une tribune au « Monde ». Le Monde, 31.07.2025. Auch auf Englisch verfügbar « Dominique de Villepin: ‚We have an absolute moral duty to oppose this murderous madness in Gaza‚”

Blognotice 30.07.2025: et encore les souvenirs du Biafra se mêlent aux images de la famine à Gaza

Deux jours après avoir publié mon billet « Ces images insoutenables qui me rappellent les souvenirs des enfants du Biafra », je découvre l’article « Vivre l’Histoire : mon parcours du Biafra à la compréhension de Gaza » du cinéaste nigérian Newton Ifeanyi Aduaka dans les blogs de Mediapart. Quelle coïncidence ! En plus, je retrouve dans l’article d’Aduaka les souvenirs de l’écrivain Chinua Achebe. Contrairement à moi, l’enfant du « Biafra du Schoren » à Schramberg- Sulgen en Forêt-Noire, Newton Ifeanyi Aduaka est un véritable enfant de la guerre du Biafra. On dit que les blogs, la blogosphère traditionnelle, sont mourants, mais le texte de Newton Ifeanyi Aduaka montre que de nos jours les blogs ont encore un mot à dire ! Et quel témoignage. Sûrement un des meilleurs billets de blog que j’ai découverts durant ces dernières années. Je me permets de citer ces phrases du billet de Aduaka :

« Plus important encore, les deux tragédies soulignent le coût humain de permettre aux disputes politiques d’escalader en catastrophes humanitaires. Les enfants qui ont souffert au Biafra — y compris mon moi nourrisson — et ceux qui souffrent à Gaza aujourd’hui méritent mieux que d’être les symboles des échecs de leurs sociétés à trouver des solutions pacifiques à des problèmes complexes et la lâcheté flagrante, la cupidité et l’hypocrisie de nations puissantes avec des intérêts acquis. Mon parcours d’un bébé de guerre biafrais à un cinéaste documentant d’autres conflits africains m’a appris que le trauma connecte à travers le temps, la géographie et les expériences individuelles. [1]»

Personnellement, ce qui s’est passé à Gaza est une véritable catastrophe humanitaire et les gouvernements des deux États dont je possède la nationalité, les gouvernements français et allemand, ne font pas assez pour stopper la folie meurtrière du gouvernement de Benjamin Netanyahou. Les enfants victimes de la famine à Gaza ne sont pas responsables des crimes perpétrés le 7 octobre 2023 par le Hamas[2].

Comme je l’écrivais dans mon dernier billet : « Mais en ce moment, on a bien l’impression qu’Israël ne mène pas une guerre contre le Hamas, mais contre la population entière de Gaza. Et j’espère qu’Israël sortira vainqueur de cette terrible épreuve en restant une démocratie libérale

Mais j’espère aussi que les Palestiniens seront enfin libérés du joug du Hamas et pourront vivre dans un État libre et démocratique !

Christophe Neff, Grünstadt 30.07.2025


[1] Citation tirée de Newton Ifeanyi Aduaka « Vivre l’Histoire : mon parcours du Biafra à la compréhension de Gaza » Blogs Mediapart, 29.07.2025.

[2] Voir aussi mes billets de blogs sur les massacres du  7 Octobre 2023 des massacres perpétrés par le Hamas  – « Souvenirs des chants d’Israël, « La Caravane des Cavaliers  (Chayreth Harochvim) » et « Paysages: Retour sur le 07 octobre 2023 –  „Stand with Israel!“ »

Blognotiz 19.07.2025: Freitagsgedanken

Letzten Freitag, also Freitag den 11.07.2025, war so ein Tag, an dem mir die Komplikation mit der Mitterrandschen Krankheit, wieder einmal zu schaffen machte. Hin und wieder gibt es solche Tage. Es war auch der Tag, an dem sich der Beginn des Massakers von Srebrenica zum dreißigsten Mal jährte. Eine offene Wunde im Herzen Europas. Sie klafft immer noch tief und bedrohlich. Als es geschah, war ich noch ein junger Mann, Assistent für Geographie am Lehrstuhl für Physische Geographie und Länderkunde von Professor Frankenberg an der Universität Mannheim. Ich konnte es damals kaum fassen, als man erfuhr was geschah, – und letztlich kann ich es bis auf den heutigen Tag nicht fassen – wie konnte ein solches Verbrechen, ein Völkermord mitten in Europa geschehen? Als ich meine Stelle als „Rat“ an der damaligen Universität Karlsruhe (TH), dem jetzigen KIT antrat, fragte ich manchmal die Studierenden meiner Lehrveranstaltungen was sie mit dem Namen Srebrenica anfangen können. Da waren ja gerade mal zehn, oder etwas mehr Jahre nach dem Massaker durchs Land gegangen. Aber Srebrenica, das Massaker von Srebrenica, das war wie ein ferner unbekannter Planet, von denen die meisten der damaligen Studierenden gar nichts wussten. Heute wage ich gar nicht mehr zu fragen. Seit diesen Jahren, habe ich fast zu jeden Julibeginn Gedichte auf loses Papier über das unfassbare geschrieben. Die meisten dieser losen Blätter sind inzwischen verloren gegangen oder im Altpapier gelandet. Dieses Jahr habe es ich erst wieder auf ein loses Blatt geschrieben,  – aber diesmal war ich dann doch so geistesgegenwärtig, dass ich es in eine Worddatei übertragen habe. Vielleicht werde ich es hier im Blog einmal veröffentliche – oder es erscheint im Gedichtband an dem ich schon Jahrzehnte, ja seit meiner Jugendzeit arbeite. „Stille – 30 Jahre danach  – weinen die Gräber in Srebrenica – immer noch stumm“ – so lautet der Titel des unveröffentlichten Gedichtes.

Ja, und diesem selben Tag, in dem ja auch an die Opfer von Srebrenica im deutschen Bundestag gedacht wurde, – da wurde die Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht im Bundestag kurzfristig abgesagt. Damit erreicht die Causa „Frauke Brosius – Gersdorf“ ihren vorläufigen Höhenpunkt. Ich schreibe vorläufigen Höhepunkt, weil das Ganze noch andauert und niemand richtig weiß, wie das ganze Enden wird. Wäre ich Hochschuljurist, hätte ich bestimmt die von den Strafrechtsprofessoren Susanne Beck und Alexander Thiele, sowie dem Verwaltungsrechtler Stefan Huster intitierte „Stellungnahme zur Causa „Frauke Brosius-Gersdorf“ unterschrieben[1]. Aber ich bin ja nur ein Hochschulgeograph. Aber betroffen macht mich das Ganze schon. Es ist schon mehr als befremdlich zu sehen, was für eine „Kampagnenmacht“ die fundamentalistische Rechte schon heute besitzt. Man könnte fast meinen, dass es in Zukunft für liberale Richter sehr schwer werden wird, oder fast gar unmöglich werden wird Richter oder Richterin am Bundesverfassungsgericht zu werden. Offensichtlich ist aber auch, – und dies wurde schon bei der Kanzlerwahl am 6 Mai 2025 sichtbar, – in der CDU – Bundestagsfraktion gibt es eine starke Minderheit die mit der jetzigen schwarz-roten Koalition unter dem Kanzler Merz fremdelt, – ja da gibt es bestimmt einige Abgeordnete, die würden eine CDU Minderheitsregierung, die von der AFD geduldet wird bevorzugen. Eigentlich müsste man dazu einen eigenen Blogbeitrag schreiben. Abschließend kann ich nur sagen, dass ich den Mut und die Entschlossenheit von Frauke Brosius-Gersdorf bewundere.

Christophe Neff, Grünstadt im Juli 2025 (19.07.2025).

P.S. Zur Causa „Frauke Brosius-Gersdorf“ wird viel geschrieben. Besonders lesenswert erscheint mir der Meinungsbeitrag von Armin Nassehi im Montagsblock/332 denn ich erst zweit Tage nach Verfassens dieses Blogbeitrages über meine Freitagsgedanken entdeckte.


[1] Siehe u.a. „Stellungnahme zur Causa „Frauke Brosius-Gersdorf“ im Verfassungsblog (14.07.2025)