Ottmar Schreiner – Sozialdemokrat, Fallschirmjägeroffizier und Katholik (21.04.2013)

Ich hatte es letzte Woche durch den SPON erfahren, „Gegner der Agenda 2010: SPD-Politiker Ottmar Schreiner ist tot“. Peter Altmeier hat einen bewegenden Nachruf für die Zeit verfasst, die Saarbrücker Zeitung bezeichnete ihn als das „soziale Gewissen“ der SPD. Bewegend auch der Nachruf von Cansel Kiziltepe, mit dem Titel „Ein Kämpfer ist von uns gegangen“, – Cansel Kiziltepe die Ottmar Schreiner auch als ihren politischen Ziehvater bezeichnet, – was an sich schon bemerkenswert ist. Es gibt wohl nur wenige in der SPD die Ottmar Schreiner als ihren persönlichen Ziehvater bezeichnen.

Ich habe Ottmar Schreiner persönlich nicht gekannt, – aber dennoch fühlte ich mich in vielen Dingen mit ihm verbunden. Im Nachruf von Peter Altmeier finden wir folgende Sätze: Ottmar Schreiner war Fallschirmjäger, Fußballer und Jurist. Vor allem aber war er Sozialpolitiker und Sozialdemokrat, und zwar in dieser Reihenfolge….. Er hielt der SPD weiterhin die Treue, obwohl er die Politik der Agenda 2010 niemals akzeptiert hat.“ Hartz IV und die Agenda 2010, – das ist nun schon 10 Jahre Vergangenheit – aber ich war damals selbst strikter Gegner der sogenannten Agenda – sowie Ottmar Schreiner. Ich hatte damals auch intensiv über einen Parteiaustritt aus der SPD nachgedacht, – aber ich bin jetzt 10 Jahre nach der Agenda 2010 immer noch Mitglied der SPD – obwohl ich große Teile der Agenda 2010 immer noch für einen Fehler halte. In der SPD geblieben bin ich auch deshalb, weil es Menschen wie Ottmar Schreiner gab, die sich obwohl weitgehend vom „Parteimainstream“ isoliert für die „Kernaufgabe“ der Sozialdemokratie einsetzten, – für soziale Gerechtigkeit – der Vision einer sozial gerechten Gesellschaft.

Im SPON Nachruf auf Ottmar Schreiner kann man folgenden Sätze finden „Doch Schreiner blieb in der SPD. „Über Jahre in einer Minderheitenposition zu stehen, ist sehr belastend. Aber ich bin ausgebildeter Fallschirmoffizier, die schmeißen nicht hin“, sagte Schreiner einmal“. Ottmar Schreiner bezeichnete sich gern als Fallschirmoffizier, Fallschirmjägeroffizier – er stand offensiv zu seiner Bundeswehrvergangenheit, zu seiner Fallschirmjägerzeit, seiner Offiziersausbildung, – die Tatsache, dass er bis Ende 50 noch Reserveübungen absolvierte – auch das hat mich beeindruckt. Es gibt kaum Politiker, dazu noch sozialdemokratische, die so offensiv zur Bundeswehr gestanden sind, wie es Ottmar Schreiner getan hat. Die Fallschirmjägeroffiziersausbildung, – das ist sozusagen der weitere Baustein der mich mit Ottmar Schreiner verbindet. Ich habe mich fast zwanzig Jahre nach Ottmar Schreiner während meiner Wehrdienstzeit im Fallschirmjägerbataillon 251  in Calw, als ROB-W15 zum Reserveoffizier ausbilden lassen. Die Ausbildung zum Reserveoffizier erfolgte damals für die ROB-W15 (Reserveoffiziersbewerber W-15) über die erfolgreiche Ausbildung zum (Fallschirmjäger) – Unteroffizier, – danach folgten  die Reserveoffizierslehrgänge und die Truppenpraxis. Den Unteroffizierslehrgang Teil I habe ich Sommer 1985 im Fallschirmjägerbataillon 251 in Calw u.a. zusammen mit Dirk Niebel und Boris Grundl absolviert. Danach bis zur Auflösung der Luftlandebrigade 25 immer wieder meine Wehrübungen in Nagold (Fallschirmjägerbataillon 253) und später in Münsingen (Fallschirmpanzerabwehrbataillon 283)  abgeleistet. Nach der Auflösung der Luftlandebrigade 25 ging es mit den Wehrübungen weiter, – zwar nicht mehr bei der Fallschirmtruppe – und zwar bis heute. Meine letzte Wehrübung liegt keine 2 Wochen zurück, – die Kaserne habe ich am 5.4.2013 verlassen, – einen Tag bevor der Krebs Ottmar Schreiner endgültig besiegt hatte.  Dass Ottmar Schreiner seine Ausbildung zum  „Fallschirmoffizier“ als so prägend erlebte, dass er immer sie immer wieder als Bewegrund angab, weshalb er seinen Widerstand gegen die Agenda 2010, gegen Hartz IV, auf fast aussichtslosen Posten innerhalb der SPD, niemals aufgab, das kann ich gut verstehen. Wer damals zu Ottmar Schreiners Zeit, – oder in den 1980 Jahren in Calw oder Nagold die Ausbildung zum Reserveoffizier durchlief, – der lernte vor allem eines – durchzuhalten und zu kämpfen. Ottmar Schreiner, hat seine Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit niemals dem sozialdemokratischen Mainstream geopfert – auch wenn er dafür oft als „Betonlinker“ verunglimpft wurde.

Klagt nicht Männer, kämpft“ – an diesen Spruch aus meinen Calwer & Nagolder Tagen musste immer wieder denken, wenn ich sah, wie Ottmar Schreiner, auf fast schon verlorenen Posten in der SPD für seine Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit kämpfte.

Die veröffentlichte Meinung in Deutschland glaubt ja bis heute größtenteils, dass die jetzige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, vor allem auf den Erfolg der Schröder’ischen Reformpolitik also Hartz V, Agenda 2010 etc. zurückzuführen ist. Wie gesagt, das ist vor allem ein Glaube, – einen ernst zu nehmenden empirischen Beweis dafür, dass dem tatsächlich so ist, – habe ich bisher nirgendwo finden können.  Die einzig bisher empirisch belastbare Studie erscheint mir Arbeit von Richard Koo , über die der Spiegel unlängst berichtete, zu sein. Ich kenne zwar das Originalpaper(Vortrag) nicht, aber die Vorgehensweise von Koo erscheint mir nachvollziehbar und plausibel – und das Ergebnis erscheint mir auch plausibel: „Unrecht haben jene Linken, die jeden positiven Einfluss der Reformen auf die deutsche Wirtschaft abstreiten. Aber auch jene Wirtschaftsliberalen, die Deutschlands exportgetriebenes Wirtschaftswunder allein auf den härteren Umgang mit Arbeitslosen zurückführen“.

Wenn die SPD vielleicht etwas mehr bei der Agenda-Gestaltung auf Ottmar Schreiner gehört hätte, hätte Sie vielleicht mit einer ausgewogenere Agenda 2010 genau so viel erreichen können, wie erreicht worden ist, – ohne dabei so viel Glaubwürdigkeit in Fragen der sozialen Gerechtigkeit zu verlieren – wie sie in Folge der Agenda 2010 tatsächlich verloren hat. Mit Ottmar Schreiner hat die SPD, einen der letzten Kämpfer mit sozialdemokratischem Herzblut, einem der letzten Kämpfer für den sozialdemokratischen Traum einer besseren, gerechteren Welt, verloren. Man fragt sich wer diese Lücke innerhalb der SPD schließen soll.

Es gibt noch eine andere Seite an Ottmar Schreiner, jenseits von Politik die ich sehr geschätzt habe, etwas was mich über die Politik hinweg mit Ottmar Schreiner verbunden hat  – er war ein gläubiger Katholik. Vielleicht hat ihm auch der Glaube die Kraft gegeben, seine Kämpfe für seine Vorstellungen von Sozialdemokratische Politik, von sozialer Gerechtigkeit, aber auch der Kampf gegen die Krankheit, den Krebs, der ihn zwar dann doch letztendlich besiegt hat, zu führen.

Ich habe Ottmar Schreiner persönlich nicht gekannt, – aber dennoch fühlte ich mich in vielen Dingen mit ihm verbunden, deshalb habe ich auch diesen, sehr persönlich gefärbten Nachruf, verfasst. Ich schließe diesen Beitrag über Ottmar Schreiner mit dem Schlusssatz aus dem bewegenden Nachruf auf Ottmar Schreiner von  Cansel Kiziltepe „O Herr, lass mich da stehen, wo die Stürme wehen, und verschone mich nicht.

Christophe Neff, 21.04.2013

P.S.: Der Verfasser des Paysagesblog ist Oberstleutnant der Reserve und zur Zeit in einem Brigadestab in Süddeutschland Mobbeordert.

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