Blognotiz 04.02.2024: es ist Sonntag

Januarblick vom Grünstadter Berg auf Grünstadt, © Christophe Neff, 28.01.2024

Es ist Sonntag, – graues Nieselwetter ist angesagt, wobei jetzt wo ich diese Blognotiz niederschreibe, das Wetter etwas aufklart. Letzten Sonntag, nach dem ich im Schneck International dem Blog von Sebastian Rogler[1] den Beitrag „Keine“ gelesen hatte, habe ich die winterlichen Sonnenstrahlen genutzt, bin ich übern Grünstadter Berg gerannt, sowie ich das bei gutem Wetter, eigentlich immer mache. In „Keine – Maultaschen für Nazi“ berichtet Rogler über seine Teilnahme an der Anti-AFD Demo in Stuttgart. Sehr schön geschrieben, – mit dem Autor von Schneck International bin ich auf einem Landgasthof nahe dem Bodensee ins neue Jahr „getanzt“ – ja habe sogar etwas gesungen, – unter anderem den „Vechio Frack“ von Domenico MondugoÈ giunta mezzanotte, Si spengono i rumori, Si spegne anche l’insegna, Di quell’ultimo caffè …..

Nach dem Sonntagssport habe ich mich der Steuer gewidmet, – und diese dann tatsächlich im Laufe der Woche bei der Steuerberaterin abgegeben. Aber leider hat sich inzwischen herausgestellt, dass ich wieder Unterlagen nachreichen muss. Was haben wir nur für ein kompliziertes Steuersystem, dass jemand wie ich der im Sinne Bierbichlers „Mittelarm oder Mittelreich“ ist, die Hilfe eines Steuerberatungsbüros braucht um seine Steuererklärung ordnungsgemäß abgeben zu können. Man zahlt einen Haufen Steuern und Abgaben, derweil es bei der Bahn an allen Ecken und Enden hakt, es fehlt an Ärzten und Medizinstudienplätzen, an Pflegern, an Lehrern, die Bundeswehr krächzt aus dem letzten Loch und man sich schon fragt wo bleibt das ganze „Geld“ . Es gibt ja da die Zeitenwende, aber im Alltagsleben merkt man nichts davon …..

Ich war bisher auf keiner Anti-AFD Demo, –  Menschenmengen sind mir generell suspekt, – aber falls meine Freunde in Stuttgart oder München wieder eine solche Besuchen würden, würde ich mich in den ICE setzten und mich ihnen anschließen. Ich bin überhaupt überrascht wie viele meiner Freunde, aber auch Kollegen vom KIT an solchen Demos teilnahmen ….  So wie man es in Schneck International nachlesen kann, – es ist ein „Wir“ Gefühl entstanden.  Wobei diejenigen die an solchen Demos teilnehmen, an der Wahlurne sowieso der AFD ihre Stimme nicht schenken würden!

Kann man diejenigen die AFD wählen oder beabsichtigen AFD zu wählen überhaupt jemals mit Argumenten überzeugen dies besser nicht zu tun. Da bin ich inzwischen doch recht skeptisch. Letzthin hinterließ mich die Lektüre des Artikels „“Lasst sie mal machen„“ in der Zeit doch eher ratlos. Da staunt man über das „Gottvertrauen“ des Rechtsanwaltes der der AFD seine Stimme bei den nächsten Landtagswahlen geben will, in die Stabilität unserer demokratischen Institutionen. Ich bin da eher bei Dirk Kurbjuweit der letzthin in einem lesenswerten Essay vor der „deutschen Unbedingtheit“ der AFD warnt. Lesenswert in diesem Zusammenhang im gleichen Spiegel, das Interview von Wolf Biermann „»Falsche Feinde sind gefährlicher als falsche Freunde«“. In diesem Sinne auch bemerkenswert der Kommentar von Christian Bangel „Demonstrationen gegen Rechtsextremismus: Wo bleibt das „Wir haben verstanden“?“ in Zeitonline,  oder auch die Kolumne von Susanne Beyer „Kampf gegen Rechtsextreme – Auf die Union kommt es jetzt an“ im Spon.

Verbleibe nach dieser Woche eher ratlos was die AFD betrifft, – wenn man sieht wie schwer sich das Nachbarland Polen mit der „Rückabwicklung“ autoritärer und antidemokratischer Strukturen tut, – dann kann man angesichts der deutschen Unbedingtheit der AFD nur hoffen, dass diese Partei weder auf Landesebene noch auf Bundesebene jemals in Regierungsverantwortung kommt. Vor einem Ministerpräsidenten Björn Höcke habe ich ja in meinem letzten Blogbeitrag gewarnt – „Das Björn Höcke zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt wird ist vielleicht unwahrscheinlich, aber bestimmt nicht unmöglich!

Soweit sich das Wetter heute etwas stabilisiert, werde ich wieder übern Berg rennen, mich danach um die fehlenden Steuerunterlagen kümmern, vielleicht noch etwas über Buch welches mich über viele Monate begleite und das ich in der Nacht von Freitag auf Samstag zu Ende gelesen habe, schreiben. „Pour une juste cause“ von Vasili Grossman in der neuen französischen Übersetzung von Luba Jurgenson. Das Buch ist in Deutschland auch unter dem Titel „Stalingrad“ oder „Wende an der Wolga“ bekannt. Da bin nach über 1048 Seiten Lektüre in einer nächtlichen Überfahrt über die Wolga im herbstlichen Mondscheinlicht des Jahres 1942 mit dem Politkommisar Krymov am westlichen Wolgastrand im brennenden Stalingrad angekommen. Vor 81 Jahren ging die 6. Armee in Stalingrad in den „Untergang“. Vor einem Jahr, also dem achtzigjährigen Untergang der 6 Armee habe ich mich doch sehr gewundert, wie wenig von „Stalingrad“ noch in unserem kollektiven Gedächtnis in Deutschland vorhanden ist. Ich musste im letzten und auch im vorletzten Jahr beim Verfassen eines Zeitzeugenkapitels für ein Buch über die Kriegsjahre in Bad Saulgau oft an Stalingrad denken[2]. In Saulgau der Geburtsstadt meines Vater, waren vor dem Russlandfeldzug Teile der Bodenseedivision der Wehrmacht einquartiert[3]. Die 305. Infanterie-Division, die sogenannte Bodenseedivision war Teil der 6. Armee und wurde im Kessel von Stalingrad vernichtet. Nur sehr sehr wenige Soldaten der Bodenseedivision überlebten die Schlacht von Stalingrad, – nur einer Handvoll war es vergönnt wieder in ihre Heimat in Oberschwaben, der schwäbischen Alb und dem Bodenseeraum zurückzukehren! Und die wenigen die zurückkehrten waren vom Krieg und Gefangenschaft gezeichnet.

Photo: © Christophe Neff, 28.01.2024

Bibliographische Hinweise:

Biermann, Wolf (2024) : »Falsche Feinde sind gefährlicher als falsche Freunde« Der Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann hat drei deutsche Staaten erlebt, durch seinen in Auschwitz ermordeten Vater fühlt er sich Israel verbunden. Der Weltlage will er mit einem »Optimismus der Tat« begegnen – und Björn Höcke mit ungewöhnlichen Mitteln bekämpfen. Spiegel Gespräch mit Melanie Amann und Tobias Rapp. Der Spiegel, 6, 2024, 3.3.2024, S. 32-35.

Grossman, Vasilli; Jurgenson, Luba (trad.) : Pour une juste cause. Traduit du russe par Luba Jurgenson.. Édition  établie et prefacée par Luba Jurgenson. Postface de Robert Hugh Chandler. Paris, 2023. За правое дело (For a just cause), © Ekaterina Vasilyevna Korotkova et Yelena Fedoronvna Kozhichkina, 2019, Postface © Robert Hugh Chandler, pour la traduction. ISBN 978-2-7021-8035-8

Kurbjuweit, Dirk (2024): Die Lammfrommen und die Unbedingten. Warum es falsch wäre, der AfD ein Verbotsverfahren zu ersparen. Der Spiegel, 6, 2024, 3.3.2024, SS.50-51.

Neff, C. (2023): Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg. In: Scheck, Conny; Gelder, Maria Margarete (Hrsg): Aus dem Grau der Kriegszeit. Geschichten hinter der Geschichte. Spuren Lebendig Gemacht, Band III, Bad Saulgau Mai 2023, S. 252 – 259. (Ein PDF – Sonderdruck des Buchbeitrages kann in der KITOPEN Bibliothek heruntergeladen werden DOI: 10.5445/IR/1000159193)

Neff, Winfried (Hrsg) (1990): Briefe aus dem Osten. Herausgegeben und Kommentiert von Winfried Neff. Graphik Uwe Rettkowski. Schramberg 1990

Christophe Neff, Grünstadt 04.02.2024


[1] Von Sebastian Rogler stammt auch das im Beitrag „Paysages: Retour sur le 07 octobre 2023 –  „Stand with Israel!“ verwendete Bild „Stand with Israel“

[2] Siehe „Der Schramm, der Bahnhof und der Krieg“ sowie „„Net schon wieder Ulm“ : Über die Buchpräsentation „Aus dem Grau der Kriegszeit – Geschichten hinter der Geschichte“ in der Bad Saulgauer Stadthalle am Donnerstag den 25.5.2033“

[3] Über diese Zeit der Einquartierung des 305 Nachrichtenabteilung in Saulgau verfasste mein Vater ein Buch mit Namen „Briefe aus dem Osten“, siehe auch „Blognotiz 16.11.2014: Novembererinnerungen an Saulgau – Gedanken zum Volkstrauertag 2014“.